Acacia 02 - Die fernen Lande
Redekunst verfügt. Er ist ein Mann aus dem Volk, und wenn er zu anderen Menschen spricht, macht er sie glauben, dass all ihre Kümmernisse durch uns verursacht werden. Das stimmt natürlich nicht. Wir erwarten viel von unseren Untertanen. Im Gegenzug geben wir ihnen die Sicherheit eines blühenden Reiches. Einfache Bürger verstehen das nur selten, und sie vergessen es, wenn ein Mann wie er in ihre Mitte tritt. Die Gefahr, die er darstellt, liegt also darin, dass er einen Haufen Kümmernisse vermengt und ihnen eine Zielscheibe anbietet – das Geschlecht der Akarans. Dich, Aaden. Was droht er zu tun? Uns zu vernichten. Er glaubt, seine Bauern würden die Welt besser regieren als wir. Oder er glaubt, dass er durch unseren Untergang zur Macht gelangt, ich bin mir nicht ganz sicher. Aber in beiden Fällen würde er dafür sorgen, dass ich abgesetzt und wahrscheinlich nach einer Farce von Gerichtsverhandlung getötet werde. Also, was machen wir mit ihm?«
»Wir sorgen dafür, dass er aufhört zu reden?«
»Vielleicht, aber das würde das, was er gesagt und die Gefühle, die er aufgewühlt hat, nicht ungeschehen machen. Was ist besser, als ihn zum Schweigen zu bringen?«
»Wenn er schon reden muss … dann sollten wir dafür sorgen, dass er das sagt, was wir wollen, und nicht das, was wir nicht wollen.«
Auf Corinns Gesicht erschien ein Lächeln. Die Antwort überraschte sie keineswegs – sie hatte selbst schon daran gedacht –, aber sie gefiel ihr. Sie streckte den Arm aus, zauste ihm die Haare und sagte: »Kluger Junge.«
Aaden nahm das Lob mit einem Schulterzucken entgegen.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte Corinn. »Ich erzähle dir später, was dieser Verbrecher zu sagen hatte.«
Doch Aaden hatte etwas anderes im Sinn. »Grae hat gesagt, er will morgen mit mir ausreiten, bis hinauf zum Ruhefelsen. Er sagt, er hat eine Angelleine, die so lang ist, dass sie von dort oben bis ins Wasser reicht. Das ist vollkommen unmöglich. Er macht bestimmt Witze! Ich darf doch mit, ja?«
»Du magst Grae gern, nicht wahr?« Corinn versuchte die Frage ganz beiläufig klingen zu lassen. »Du hast noch mehr Zeit mit ihm verbracht als ich.«
»Er hat mit mir gefochten. Nicht wie die anderen, sondern Stahl gegen Stahl. Ich hätte verletzt werden können.« Die Vorstellung schien den Jungen zu begeistern.
»Tatsächlich?« Corinn zog eine Augenbraue empor. Natürlich waren das keine echten Neuigkeiten für sie. Nur sehr wenig von dem, was Aaden tat, wurde ihr nicht zugetragen. Was das anging, war ihr auch nur sehr wenig von dem entgangen, was Grae während der letzten paar Wochen getrieben hatte. Sie wusste auch das, was Aaden nicht über diesen Übungskampf erwähnt hatte: dass die Klingen, die sie benutzt hatten, sehr leicht gewesen waren und keine Schneide gehabt hatten. Grae hätte ihn sicherlich trotzdem verwunden können, aber zehn Marah-Augenpaare waren die ganze Zeit auf ihn gerichtet gewesen, bereit, jede Verletzung mit einem schnellen Tod zu vergelten. »Findest du nicht, dass das gefährlich ist?«, fragte Corinn.
»Nein. Eigentlich nicht. Er hat gesagt, ich bin schneller als er. Schneller als er jemals war, hat er gesagt.« Fast wie einen nachträglichen Einfall fügte er hinzu: »Außerdem würde er mir sowieso nicht wehtun. Er mag mich.«
»Natürlich nicht«, pflichtete Corinn ihm bei. »Und natürlich mag er dich.«
Dass Aaden mit Verspätung aufbrach, bedeutete, dass er noch im Korridor war, als Rhrenna Delivegu zu den Beobachtungsscheiben führte. Nachdem er die Königin förmlich begrüßt hatte, sagte der Candovier: »Euer Sohn sieht Hanish Mein von Tag zu Tag ähnlicher.« Er deutete in Richtung des Korridors, um zu erklären, was ihn zu dieser Bemerkung veranlasst hatte.
Corinn musterte ihn einen Moment lang und überlegte, wie streng sie mit ihm sein wollte. Auf den ersten Blick war er so protzig gekleidet wie immer, das Hemd strahlend weiß, die schwarzen Kniehosen so eng, dass es aussah, als wären sie geschrumpft, um ihm wie angegossen zu passen. Seine goldenen Ohrringe funkelten, und an einem Handgelenk trug er Armbänder, die scheppernd aneinanderschlugen, wenn er sich bewegte. Doch so prachtvoll er auch herausgeputzt sein mochte, seine Miene verriet nichts von seiner üblichen Arroganz. Vielleicht hatte die Zeit in Ungnade sie gemildert.
»Du hast Hanish Mein gekannt?«, fragte Corinn.
»Vom Sehen, ja. Nur vom Sehen. Er kannte mich nicht, aber er war schwer zu übersehen, als er an der Macht
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