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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Augenblicke des Wartens hinweg, als sie auf demselben Weg, den sie gekommen waren, zum Palast zurückkehrten. Sie versuchte, sich auf ihre Stimmen zu konzentrieren, die über die Krise redeten, als wäre ihnen dergleichen sehr vertraut. Corinn wusste, dass sie sich an dem Gespräch hätte beteiligen sollen, doch sie konnte nicht. Nicht, solange sie nicht mehr wusste.
    Sie fanden Elya und Aaden im großen Garten des königlichen Palasts. Als sie dort ankamen, mussten sie sich durch eine Menge aus nervösen Bediensteten drängen. Aaden lag auf der freien, von Bänken und Stühlen umgebenen Fläche, in der Mitte des Gartens, mitten auf dem Mosaik, das das Familiensymbol der Akarans darstellte. Er lag auf der Seite, das eine Bein quer über dem anderen, den Arm um den Bauch gelegt. Schlafend. Oder tot? Corinn wusste es nicht zu sagen. Die Echse stand ein paar Schritte entfernt. Sie stand auf den Hinterbeinen, hatte die Vorderbeine aneinandergelegt und presste die kleinen Pfoten zusammen.
    Corinn schritt vorwärts, irgendwie geduldiger, nun, da sie ihren Sohn tatsächlich vor sich sah. Das Gefühl, das sie zum Carmelia-Stadion getrieben hatte, war aus ihr herausgeflossen. Sie wollte es einfach nur wissen. Das war alles. Sie musste es einfach wissen. Und so schritt sie gefasst über die Fliesen, während die bedrückte Menge ihr zusah. Als sie ihren Sohn erreichte, kniete sie neben ihm nieder und flüsterte seinen Namen. Sie setzte sich hin, schob ihm die Hände unter den Kopf und die Schultern und zog ihn auf ihren Schoß. Ein merkwürdiger, durchdringender Zitronengeruch ging von ihm aus, den einzuatmen sehr angenehm war. Doch er war auch voller Blut, ja, Blut, mit dem seine Kleider sich am Bauch vollgesogen hatten. »Oh, Aaden«, sagte sie und zog ihn noch etwas fester an sich. So viel Blut. Er war warm. So schlaff er auch war, wusste sie doch, dass er noch lebte. Als sie sich über ihn beugte, spürte sie seinen Atem – er war schwach, oh ja, aber er war da. Er atmete, aber sein Atem wurde immer schwächer.
    Sie hörte Mena nach den königlichen Ärzten rufen und andere Befehle geben. Vernünftige Befehle, Dinge, die sie selbst hätte sagen sollen. Doch sie konnte nichts weiter tun als Aaden in den Armen zu halten und zu spüren, wie Traurigkeit und Angst sich um sie herum öffneten wie der Rachen des zähnestarrenden Wurms, der im Mittelpunkt der Erde lebt. Sie spürte, wie er sich erhob, hungrig und wütend. Der Wurm war der Tod. Der Tod! Er wollte Aaden verschlingen. Sie hatte nie gewusst, was der Tod war, aber jetzt wusste sie es. Er war ein Wurm im Mittelpunkt der Erde. Ein hungriges Scheusal, das ihren Sohn holen wollte.
    Aber sie würde ihm ihren Sohn nicht geben. Warum sollte ich das tun müssen? Ich habe schon so viel gegeben. Warum kann ich nicht dieses eine behalten – einen Sohn, den ich liebe? Warum? Ihr wurde klar, dass sie zu dem Scheusal in ihrem Kopf sprach, doch es scherte sich nicht darum. Es hatte vor ihr begonnen und würde nach ihr fortdauern, und niemals, niemals würde es sich um Worte wie diese kümmern. Wenn sie Aaden festhielt, würde der Wurm sie ebenfalls verschlingen, würde sie beide hinunterschlucken in den stinkenden Abgrund seines Bauches. Sie und Aaden, Mena und die Bediensteten. Den ganzen Palast. Nein, ganz Acacia – die ganze Insel. Wenn sie ihren Sohn festhielt und ihn dem Wurm verwehrte, würden dessen Kiefer aus dem Meer auftauchen und sich um sie alle schließen und alles in die Tiefe ziehen, es sei denn … es sei denn, sie sang.
    Ich muss singen!
    Als sie das dachte, wurde ihr klar, dass sie es die ganze Zeit gewusst hatte. Der Wurm war uralt, und seit sie das erste Mal aus dem Lied von Elenet gelesen hatte, hatte sie gepürt, wie er sich regte. Sie hatte es sich nicht eingestanden, doch sie hatte gespürt, wie er sich unter der Erde wand und streckte. Er hatte ihr Lied willkommen geheißen. Er hatte es ersehnt. Er labte sich daran. Warum verstand sie das alles erst jetzt?
    Mena beugte sich über sie und sagte etwas, doch Corinn beachtete weder sie noch sonst irgendjemanden um sie herum. Es spielte nicht einmal eine Rolle, ob sie sie hörten. Nichts spielte eine Rolle – nur, dass sie für Aaden sang, bevor der Wurm sie alle verschlang. Sie wussten nichts von ihm, diese Narren! Corinn hatte den ganzen Tag nichts Nützliches getan, jetzt aber würde sie es tun.
    Während ihre Lippen die weiche Haut von Aadens Nacken streiften, öffnete sie den Mund und atmete das Lied

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