Acacia 02 - Die fernen Lande
wurden, mussten aus jenen besseren Regionen mehrere Treppen hinunterreisen, durch eine Seitengasse und ein paar Unterführungen und dann eine Rampe hinauf, auf der meistens Arbeiter und deren Tiere unterwegs waren. Der Gestank des Viehs trieb durch das offene Fenster herein. Er hätte es gar nicht aufgemacht, wenn der Raum, der den größten Teil des Tages im Schatten eines hohen Torbogens lag, nicht so feucht gewesen wäre, dass er fast schon kalt war.
Etwas Ähnliches ließ sich auch über die Gehilfin sagen, die zu dem Arbeitszimmer gehörte. Sie war nicht im eigentlichen Sinne entstellt – niemand, der im Palast arbeitete, wies irgendeine der körperlichen Erkrankungen auf, die man regelmäßig beim gemeinen Volk fand –, aber sie hatte etwas beängstigend Männliches an sich: ihre Schultern waren breiter als normal, die Hüften schmaler. Ihr Kinn war so eckig wie das eines aushenischen Hafenarbeiters und ihre Stimme genauso barsch. Aber vielleicht war er auch ein bisschen ungerecht. Sie tat, was sie zu tun hatte, ausreichend wirkungsvoll, verschwendete kaum ein Wort und tat nie etwas Sinnloses. Natürlich wäre ihm ein beschränktes hübsches Mädchen weitaus lieber gewesen, das er auf den Schreibtisch hätte legen können, wenn ihn das Verlangen überkommen hätte. Die Tatsache, dass diese Frau ihn nicht reizte, erschien ihm wie eine persönliche Kränkung. Was aber noch schlimmer war: Er hatte mehrere Male von ihr geträumt – sinnliche Träume, die ihn sich winden ließen, wenn er aufwachte. Er versuchte, sie nicht anzusehen, was in einem kleinen Arbeitszimmer alles andere als leicht war.
Obwohl der Palast vor Geschäftigkeit summte, landeten nicht viele offizielle Vorgänge auf seinen Schreibtisch. Glücklicherweise ermöglichte es ihm das Abzeichen seines neuen Rangs, das er voller Stolz trug, im größten Teil des Palasts frei herumzuwandern. Der Flügel mit den Arbeitsräumen der Königin blieb ihm allerdings verwehrt, ebenso wie die Privatgemächer der Akarans, eine kleine Stadt für sich. Um dort Zutritt zu bekommen, benötigte er eine spezielle Erlaubnis. Aber egal. Er fühlte sich genug unterhalten, wenn er durch die Gärten des oberen Palasts schlendern oder sich mit den Wachen unterhalten konnte, die zu jedem Durchgang zu gehören schienen, oder wenn er den großmäuligen Fischen dabei zusehen konnte, wie sie Elritzen in den Teichen jagten, oder durch die Korridore schreiten konnte, vorbei an Senatoren, Würdenträgern der Gilde und reichen Kaufleuten. Sie machten alle so ernste Gesichter. Sorgen drückten ihre Schultern nieder, Angst um das Schicksal des Reiches. Delivegu betrachtete die Unruhen als Gelegenheit, aber eine, die ihm nicht den Geschmack an seinem unerwarteten Aufstieg verderben sollte.
Er schäkerte mit adligen Damen, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Er tat sein Bestes, um zufällige Begegnungen zu arrangieren, vor allem, als ein bestimmtes Mädchen aus Manil ihn förmlich verzückte. So eine kleine Knospe von einem Mund, und so jung, dass er wusste, einfach wusste, dass er sie mit seinem Wissen über fleischliche Genüsse in Erstaunen versetzen würde. Es erheiterte ihn sogar, bis zu den Ruinen des alten Edifus hinaufzuklettern. Eine gute Übung für Beine und Lunge – und, beim Schöpfer, was für eine Aussicht! Ringsum das Innenmeer, das glitzerte wie von unten angeleuchtetes farbiges Glas. Den Geschichten zufolge war der erste König ein misstrauischer, halb wahnsinniger Mann gewesen. Deswegen hatte er hier gehockt, so hoch oben über dem Meer, von wo aus er in alle Richtungen schauen konnte. Delivegu bezweifelte, dass dies seinen Charakter vollständig erfasste. Ganz gewiss konnte kein Mensch sich auf der Welt einen Fleck wie diesen aussuchen, ohne ein Auge dafür zu haben, wie herrlich er war. Er war überzeugt, dass Edifus ein Auge für Schönheit gehabt hatte.
Wie dem auch sei, das Reich sah sich einer Krise gegenüber. Einer ernsten Bedrohung. Einem neuen Feind und all so etwas. Eingedenk dieser Tatsache zog er sich jeden Tag zumindest für ein paar Stunden in sein Arbeitszimmer zurück. Er tat sein Bestes, über die Tätigkeiten in den höheren Gefilden der Arbeitsräume des Ratsmitglieds unterrichtet zu sein, indem er ihnen häufige Botschaften schickte und ihnen mit Schmeicheleien Informationen entlockte. Seine Anstrengungen bescherten ihm bald eine Flut von Dokumenten, und man erwartete von ihm, dass er sie – nein –, nicht dass er sie bedenken und
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