Acacia 02 - Die fernen Lande
gemeinsam. Wenn ich dich nicht bei mir habe, habe ich nichts. Dann kann ich mich genauso gut nach Kidnaban zurückschleppen und meinen Rücken darbieten, damit er ein für alle Mal gebrochen werden kann. Aber wenn es keine Hoffnung für mich gibt, dann gibt es auch keine für dich. Ich bete zum Schöpfer, dass das nicht die Zukunft ist, die vor uns liegt.« Barad sah immer noch die Frau an und sagte dann das, was das Schwerste für ihn war. Den einzigen Teil seiner Rede, der sich zugleich wahr und falsch anfühlte. Er glaubte ihn, oh ja, doch er war sich nie ganz sicher, ob sein Glaube auf Wahrheit gründete, oder ob die Wahrheit aus seinem Glauben entstanden war. »Aber ich weiß, dass das nicht die Zukunft ist, die vor uns liegt. Der Schöpfer hat uns für Größeres erwählt. Wir sind die Auserwählten. Das flüstert Aliver mir jede Nacht zu. Er flüstert immer noch. Wir sind das Volk des Schöpfers, sagt er. Wir müssen uns dessen nur bewusst werden und handeln.«
»Aber was sollen wir tun?«, fragte Elaz, der noch immer auf der Plattform stand.
Barad ließ die Hand der Frau los und drehte sich um. »Sagt jeden Tag die Wahrheit, wirklich jeden Tag. Zu euren Frauen, zu euren Männern. Zu euren Kindern. Sagt einander die Wahrheit, damit ihr sie wieder und wieder hört und sie auswendig könnt. Und denen, an denen ihr zweifelt, sagt ihr nur Teile der Wahrheit. Prüft sie. Wenn der ganze Baum für sie zu groß ist, um ihn auf einmal anzusehen, pflanzt erst den Samen der Wahrheit in ihnen. Beackert den Boden eurer Nachbarn voller Liebe und Hoffnung, für sie wie für euch selbst. Und dann seid geduldig. Samen keimen erst, wenn der Boden bereit ist und der Regen kommt und die Sonne ihnen Leben verspricht.«
»Und wann wird diese Zeit kommen?«
Barad drehte sich erneut um und stellte fest, dass die Frage von der Frau vor ihm gekommen war. Er lächelte, ein breites Lächeln, das seine Zähne zeigte, und mit dem er immer auf diese Frage antwortete. Tatsächlich hatte er schon Hunderte von Malen auf Treffen wie diesem darauf geantwortet. Er hatte diese Frage in den Hütten von Candovia und in den Bergdörfern von Senival beantwortet, in Aushenia und bei den schwarzhäutigen Menschen von Talay. Er hatte sogar Botschaften mit den entmutigten Überresten von Hanish Meins Volk ausgetauscht. Überall hatte er Ohren gefunden, die begierig waren, ihm zuzuhören, Lebensgeister, die darauf brannten zu erwachen, und Herzen, die bereit waren, aufgerüttelt zu werden und zu handeln. In diesen Augenblicken konnte er glauben, dass es einen Grund gegeben hatte, warum Aliver zu ihm gesprochen hatte. Er konnte immer noch dabei helfen, die Träume des Prinzen Wirklichkeit werden zu lassen. In diesen Augenblicken vergaß er die Schmerzen seines Körpers und fühlte sich wieder so stark wie eh und je.
Er antwortete, wie er es immer tat, mit den Worten, von denen er hoffte, dass sie wahr waren. »Bald«, sagte er. »Es wird ein Tag kommen, da werde ich die ganze Bekannte Welt aufrufen, sich zu erheben. Wir alle sind Gleichgesinnte. Ich werde rufen, aber das, was ihr hören werdet, werden eure eigenen Stimmen sein, und sie werden die alte Welt hinwegfegen, und wir werden sie erneuern. Die Königin hat keine Ahnung, was ihr bevorsteht. Aber wir, wir wissen es. Bald, meine Freunde. Bald.«
5
Rialus Neptos wusste, dass er es eigentlich als Ehre hätte betrachten sollen, der Gesandtschaft anzugehören, aber er war nicht sehr geübt darin, sich geehrt zu fühlen. Tatsächlich konnte er sich nur wenig unangenehmere Dinge vorstellen als die Aussicht, Wochen an Bord eines Gildenschiffs verbringen zu müssen, das zur anderen Seite der Welt unterwegs war. Rialus war gewiss neugierig, aber seine Neugier hatte strikte Grenzen, und es gab doch so viel, womit er sich in der Bekannten Welt beschäftigen konnte. Eigentlich gab es schon eine Menge, womit er sich in den vier Wänden seines Schlafgemachs beschäftigen konnte.
Er hatte den Verdacht, dass Corinn ihm seine überstürzte Hochzeit mit Gurta noch immer nicht verziehen hatte. Zwar konnte er nicht verstehen, warum sie das überhaupt kümmerte, doch sie schien darüber tatsächlich ungehalten zu sein. Er war doch bestimmt nicht der Einzige, der jemals eine Dienstmagd geheiratet hatte! Seiner Ansicht nach war es anständig – sogar ehrenhaft –, so etwas zu tun, vor allem, da er ihr ein Kind gemacht hatte. Einen Erben des Neptos-Vermögens. Diese Gelegenheit konnte er sich doch nicht entgehen
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