Acacia 02 - Die fernen Lande
lassen. Er hatte sich bereits vor langer Zeit damit abgefunden, dass das Geschlecht der Neptos mit ihm enden würde. In dem eisigen Exil, in dem er vor dem Angriff der Mein sein Leben gefristet hatte, war es in der Tat wie eine gute Idee erschienen, das Elend der Neptos zu beenden.
Aber das war damals gewesen. Jetzt war er Königin Corinns Ratgeber und berühmt, weil er Hanish Mein erledigt hatte. Keine andere Tat in seinem Leben hatte sein Schicksal mehr verändert als jene paar Augenblicke, die es gedauert hatte, seine Hand dazu zu bringen, die Messerklinge in Hanishs blasses Fleisch zu stoßen. Niemand würde jemals erfahren, wie lange er gezögert hatte, oder dass er das Messer hatte in beide Hände nehmen müssen, um das Zittern zu beherrschen. Aber er hatte es getan. Er hatte es wirklich getan! Hanish war nur aus Fleisch und Blut, wie alle anderen Menschen. Und deswegen lebte Rialus nun im Zentrum der Welt. Jetzt hatte er eine bedeutende Stellung. Jetzt würde er – dank Gurta, die über Nacht zu einer Dame geworden war – Erben haben, an die er sein Glück weitergeben konnte. Der Schöpfer belohnte eben die Würdigen! Manchmal dauerte es einfach nur eine Weile.
Das sagte sich Rialus immer wieder, als er den Wachen am Tor zum Gebäudekomplex der Gilde zunickte. Sie gehörten zum Ishtat-Inspektorat, einer Truppe, die der Königin keine echte Loyalität entgegenbrachte. Bei ihrem Anblick bekam Rialus eine Gänsehaut, was nicht zuletzt an den Umhängen lag, in die sie gehüllt waren. Und an den Hellebarden, die sie in den Händen hielten. Er hatte gehört, dass sie damit einem aus acht Fuß Entfernung den Bauch aufschlitzen oder den Kopf abschlagen konnten, oder sie konnten die Waffe auseinandernehmen – in zwei Teile, Schwert und Schlagstock – und einem mit dem einen den Schädel einschlagen, bevor sie einen mit dem anderen aufschlitzten. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass es sie in den Fingern juckte, beides zu tun. Das war der Grund, warum er angesichts ihrer statuenhaften Reglosigkeit seine Schritte beschleunigte.
Im Vorzimmer von Sire Dagons Arbeitsräumen angekommen, wurde Rialus aufgefordert zu warten. Er setzte sich auf einen eisernen Stuhl, der von erlesener Schönheit, aber erstaunlich unbequem war. So schien es bei der Gilde immer zu sein. Ihre Räumlichkeiten waren prächtig anzuschauen und versprachen Behaglichkeit. Doch er hatte noch nie auf einem Sofa der Gilde gesessen, ohne dass irgendeine Kante sich in seinen Rücken gegraben oder der Stoff seine Haut gereizt hätte. An den Wänden hingen Gemälde ihrer gewaltigen Schiffe auf sogar noch gewaltigeren Wellen. Die Winkel, in denen sie sich neigten, die dunklen Schemen unter der Wasseroberfläche, die Art, wie die weißen Finger der Schaumkronen sich nach den winzigen menschlichen Gestalten auf Deck ausstreckten, ließen ein flaues Gefühl in Rialus’ Magen aufkommen. Er hoffte, dass die Bilder Übertreibungen waren, die Eindruck schinden sollten, oder abenteuerliche Ausnahmen, die er wohl nicht am eigenen Leib erfahren würde.
Er wandte den Blick ab. Es würde eine kurze Reise sein. Wie war das noch mal? Vier Wochen für die Überfahrt? Ein paar Wochen dort, und dann vier Wochen für die Rückreise. Nicht mehr als gut zwei Monate seines Lebens. Die konnte er aufbringen, schließlich würde Gurta – den Bauch von seinem Erben gerundet – auf ihn warten. Aber natürlich waren da auch noch Corinns Aufträge, wegen denen er sich den Kopf zerbrechen musste. Erst gestern hatte sie sie ihm erläutert.
»Ich habe drei Aufgaben für dich, Rialus«, hatte sie gesagt. »Erstens, pass auf meinen Bruder auf. Ich will, dass ihm nichts passiert, und niemand hat eine bessere Nase für Gefahr als du. Ob sie nun von der Gilde, den Lothan Aklun oder den Auldek ausgehen oder aus den Tiefen des Ozeans kommen – du musst Gefahren erkennen, ehe sie ihm etwas anhaben können. Zweitens, ich will, dass du dabei bist, wenn die Gilde mit den Lothan Aklun und den Auldek zusammentrifft. Du sprichst die Sprache der Numrek besser als alle, die ich kenne. Vielleicht verstehst du ja auch die Sprache der Auldek. Bilde dir ein Urteil über sie, und behalte es für dich, hast du verstanden? Versuche, Möglichkeiten zu finden, allein mit ihnen zu sprechen. Vielleicht werden wir eines Tages ohne den Umweg über die Gilde Geschäfte mit ihnen machen, daher wäre es nicht schlecht, ein bisschen über sie zu wissen. Und drittens will ich natürlich einen
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