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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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förmlich wirkten, als wären sie Teil einer festen Begrüßungsformel, eher für die Zuschauer gedacht als für Mena und Dariel. Corinn umarmte sie kurz, dann wich sie zurück und betrachtete nacheinander ihre Gesichter. Ihre Augen füllten sich dabei mit Tränen, ihre Lippen zitterten leicht. Sie war in jeder Hinsicht freundlich und liebenswürdig, und doch erschien alles irgendwie falsch. Selbst als sie die Stimme hob und die Menge bat, »diese Tochter und diesen Sohn Acacias« willkommen zu heißen, was einen wahren Beifallssturm auslöste, konnte Mena sich des Gefühls nicht erwehren, Corinn sei hinter ihrer liebevollen Fassade eigentlich nicht erfreut über das, was sie in ihnen sah.
    Und so war es seitdem zwischen ihnen geblieben. Mena konnte Corinn keinen gezielten Vorwurf machen. Ihre Äußerungen waren niemals verletzend und stets angemessen. Sie verbrachten Abende bei köstlichen Speisen und erlesenem Wein miteinander, sprachen über die Vergangenheit und lernten einander von neuem kennen. Sie ritten zusammen aus wie in Kinderzeiten und stellten sich einträchtig der gewaltigen Herausforderung, das Reich wieder zu einen. Dariel schien Corinn völlig zu vertrauen, sodass Mena ihr Unbehagen für sich behielt. Doch sie fürchtete die ganze Zeit über, dass zwischen ihnen niemals die gelöste, natürliche Wärme herrschen würde, wie sie sie mit Aliver erlebt hatte und bei Dariel noch immer empfand. Corinn tat den Erwartungen an eine solche Beziehung Genüge, ließ sie aber nicht wirklich Substanz gewinnen. Wenn sie jetzt ein Dreieck bildeten - wie Corinn selbst gesagt hatte -, die drei Ecken einer Familie, dann legte Corinn anscheinend Wert darauf, dass sie dessen Spitze war; Mena und Dariel waren die Basis, die sie stützte.
    All diese Gedanken gingen ihr auch jetzt im Kopf herum, da ihre Schwester die vom Wind zerzauste Prozession anführte. Lächelnd passte Corinn ihre Schritte den ihren an. Sie hob die Hand von ihrem jetzt erkennbar schwellenden Bauch und berührte Menas Arm. »Schwester«, sagte sie, »endlich ist der Tag gekommen. Wir werden unseren Vater heute sehr glücklich machen. Das weißt du doch, nicht wahr? Bestimmt hat er sich die ganze Zeit über nach dem Tag gesehnt, an dem seine Asche den Winden anvertraut werden würde, wie vor Jahren die unserer Mutter. Er wird sich wieder mit ihr vereinen und in den Boden dieser Insel eingehen. Er wird in jeder Akazie gegenwärtig sein. Vergiss das nicht.«
    Das war offenbar alles, was sie hatte sagen wollen. Als Corinn sich abwenden wollte, fragte Mena: »Werden wir eine bessere Welt erschaffen?« Corinn sah sie fragend an, und Mena suchte nach den passenden Worten. »Du hast Aliver nicht gekannt - wie er geworden ist, meine ich. Wenn du seine Reden gehört hättest... Er hatte so viele Ideen, was wir mit der Macht anfangen könnten. Er hat von einer anderen Weltordnung gesprochen. Er hat geglaubt, wir würden Dinge wie die Quote abschaffen -«
    »Ich habe nicht so viel Zeit wie du, über solche Dinge nachzugrübeln«, erwiderte Corinn. »Werden wir eine bessere Welt erschaffen? Selbstverständlich. Jetzt herrschen wir anstelle von Hanish. Wer wollte bezweifeln, dass das bereits eine Verbesserung ist?«
    Während der Unterhaltungen mit Corinn in letzter Zeit war Mena vorsichtig geworden, wenn es darum ging, ihrer Schwester zu widersprechen. Es war nicht so, dass Corinn zornig oder gereizt reagiert hätte wie in jüngeren Jahren. Es hatte nur den Anschein, dass sie Entscheidungen normalerweise auf ihre Art und Weise traf. Hatte sie erst einmal einen Entschluss gefasst, war sie unangreifbar. »Sicherlich ist das eine Verbesserung«, räumte Mena ein. Und dann gab sie sanft zu bedenken: »Aber wir haben die Quote nicht abgeschafft. Wir haben die Bergwerke nicht geschlossen oder -«
    »Es mangelt mir nicht an Idealen«, entgegnete Corinn, »falls du darauf hinauswillst. Aber tatsächlich zu herrschen , ist etwas anderes, als nur darüber zu reden. Ich habe ständig zu tun. Ich werde mich beizeiten mit all den Problemen befassen, die du angesprochen hast. Im Moment sind wir noch hinter den Mein her, die ihre Schiffe mit so viel Beute beladen haben, wie sie tragen konnten, und nach Alecia und Manil geflohen sind. Und die Provinzen... du würdest dich wundern, Mena, wie sie sich gegen uns wenden, Barrieren errichten, Bedingungen und unberechtigte Forderungen stellen. Wenn sie sich mit der bestehenden Ordnung einfach abfinden würden, könnten wir anfangen, die

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