Ach so!
Solange das Eiklar also flüssig ist, wird die
einströmende Energie für den Umbau der Moleküle verbraucht, und somit gelangt nicht
genügend Energie ins Innere, und das Eigelb bleibt flüssig. Sobald sich jedoch das
Eiweiß verfestigt hat, verschwindet diese schützende Barriere, und es wird kritisch.
Genau das ist der Moment, in dem man das Ei aus dem Wasser nehmen muss.
Die Temperatur des kochenden Wassers beträgt etwa
100 °C, vorausgesetzt Sie kochen nicht im Gebirge, denn je höher man steigt, desto
geringer ist der Luftdruck. Wasser beginnt dann bereits bei niedrigeren Temperaturen
zu kochen. Auf der knapp 3000 Meter hohen Zugspitze blubbert das Wasser bereits bei
90 °C, auf dem Mount Everest kocht Wasser bei nur 70 °C. Ich gebe aber zu, ich kenne
bislang niemanden, der Frühstückseier auf dem Everest gekocht hätte! Bei
herabgesetzter Siedetemperatur 7 ist der
Wärmetransport vom Wasser in das Ei geringer, und somit muss man Gebirgseier länger
kochen!
Doch bleiben wir am Boden. Ein weiterer und sicherlich wichtiger
Faktor ist die Temperatur des Eis zu Beginn der Kochphase. Stammt das Ei direkt aus
dem Kühlschrank, ist es etwa 4 °C kalt. Im kochenden Wasser braucht es mehr Zeit, um
sich zu erwärmen, als ein Ei mit Zimmertemperatur.
Natürlich spielt auch die Größe des Eis eine Rolle: Je
größer das Ei, desto länger muss es kochen. Betrachtet man diesen Punkt etwas
genauer, zeigt sich eine weitere Stolperfalle: Es kommt nämlich auch auf das
Verhältnis von Oberfläche zu Volumen an. Ein doppelt so großes Ei besitzt nicht die
doppelte Oberfläche. Warum ist das so wichtig? Intuitiv ist das jedem Koch klar: Ein
großes Stück Fleisch braucht am Stück wesentlich länger zum Garen als die
entsprechende Menge an zerkleinerten Fleischstücken. Die gesamte Energie beim Kochen
fließt eben über die Oberfläche ins Innere des Eis. Je größer das Ei ist, desto
kleiner fällt seine relative Oberfläche aus, und umso weniger Energie kann
eindringen. Die Größe des Eis ist also ein empfindlicher Faktor, denn die Kochzeit
hängt vom Quadrat des Ei-Durchmessers ab. Ein im Durchmesser doppelt so großes Ei
bedeutet eine Vervierfachung der Kochzeit.
Damit sind alle Faktoren bekannt, so dass man eigentlich
exakt ausrechnen können sollte, wie lange ein Ei kochen muss. Der Physiker Charles
D. H. Williams von der University of Exeter, Professor Dr. Thomas Vilgis vom
Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz und auch der experimentelle
Physik-Kulinariker aus Wien, Werner Gruber, haben sich des Problems angenommen, und
so findet sich in den Reihen der Wissenschaft tatsächlich eine »Weichei-Formel«, die
ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
Unsere Eier im Kühlschrank besitzen einen Durchmesser von
45 Millimetern. Hieraus ergibt sich laut Formel eine Kochzeit von exakt 5,5 Minuten.
Das alte Rezept des Drei-Minuten-Eis gilt nur für sehr kleine Eier mit einem
Durchmesser von etwa 33 Millimetern, und vermutlich stammt es ohnehin aus der
Vor-Kühlschrankzeit.
Trotz aller Theorie ist das Problem noch nicht endgültig
gelöst: Bei unserer großen Familie landen oft viele Eier gleichzeitig im Topf. Das
kochende Wasser kühlt daher zunächst ab, bis es erneut zu blubbern beginnt. Bei
dieser großen Menge verlängert sich logischerweise auch die Kochzeit, doch hierfür
kann ich keine allgemeine Formel anbieten. Jeder Herd und auch jeder Kochtopf
verhalten sich anders. Manche sind träge, und es dauert lange, bis das Wasser erneut
kocht, andere reagieren schneller auf die kurzzeitige Abkühlung. Aus diesem Grund
meide ich auch die Kaltwassermethode: also Eier in das kalte Wasser geben und etwa
eine Minute nach dem Kochen herausnehmen. Dieses Verfahren spart zwar theoretisch
etwas Energie, jedoch ist neben der jeweiligen Trägheit des Herds auch die
Zeitmessung ein Problem, da ich oft den genauen Moment des Kochens verpasse.
Leider gibt es noch weitere Faktoren, die den endgültigen
Erfolg zunichte machen können. Die Füllhöhe des Kochtopfs, das Alter der Eier,
welches auch ihr Inneres verändert, oder gar eine geplatzte Schale bringen alles
durcheinander.
Wenn ich mir die Komplexität des Eierkochens
vergegenwärtige, beginne ich zu staunen. Beim traditionellen Frühstück der
Astronauten und Kosmonauten sieht man die Helden jahäufig, während
sie vor ihrer Flucht in die Schwerelosigkeit ein
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