Ach so!
Wer zum Frühstück ein Ei bestellt, tut nichts Außergewöhnliches, oder?
Der Hang zur Übertreibung hat längst auch unseren Kulturkreis erreicht. Auf langen Autobahnfahrten muss ich mir immer wieder die »aktuellsten« Verkehrsmeldungen anhören, doch ich frage Sie: Gibt es aktueller als aktuell? Längst haben wir uns an die Suche nach »Superstars« und »Supertalenten« gewöhnt. Bei Lichte betrachtet, handelt es sich eher um mediale Eintagsfliegen, die schon nach wenigen Schlagzeilen in eine wohltuende Vergessenheit zurückfallen. »Ultimative Chartshows« präsentieren doch nichts anderes als gewöhnliche Musik. Früher hieß das Hitparade, aber so viel Ehrlichkeit will man uns lieber nicht zumuten und benimmt sich lieber »genial daneben«.
Der Trend zur Übertreibung hat sich inzwischen so weit ausgebreitet, dass es kein Zurück mehr zu geben scheint. Als der Winter 2010 uns (endlich!) etwas Schnee bescherte, titelten große Zeitungen mit: »Sturmtief ›Daisy‹ droht Deutschland lahmzulegen – Angst vor dem Blizzard!« oder »Schneewalze wütet über Deutschland!« Unzählige Sondersendungenwurden ins Programm gehievt, und in hektischen Live-Schalten berichteten »Schnee-Reporter« und zeigten das, was einen Winter eben ausmacht: Schnee! Das viel zitierte »SchneeChaos« blieb weitgehend aus, und so teilten sich die eifrigen Journalisten einen rutschigen Autobahnabschnitt und eine Nordseeinsel, welche für einige Tage auf den Fährverkehr verzichten musste.
Als ich einige Wochen danach mit einem Meteorologen aus dem Wetterstudio über diesen Hang zum Dramatisieren sprach, konnte dieser nur zustimmen, wie chancenlos eine objektive Berichterstattung inzwischen sei: »Wenn 20 Zentimeter Schnee fallen, dann gibt es auch Schneeverwehungen, die 40 Zentimeter hoch sind. Der nächste Journalist macht dann aus 20 Zentimetern bis zu 40 Zentimeter Schnee, und so wächst die Verwehung schnell auf einen Meter! Das schaukelt sich hoch, bis am Ende alle eine Katastrophe melden, obwohl es nur ganz normal schneit.«
Medien orientieren sich zunehmend weniger am eigentlichen Geschehen, sondern richten sich nach dem, was andere Medien verbreiten. Jeder Sender versucht, den anderen zu überbieten; und wenn alle von einer Katastrophe sprechen, findet die normale Meldung kein Gehör mehr. Aus wissenschaftlicher Sicht kommt es so zu einer Selbstverstärkung. Sie kennen dieses Phänomen: Wenn ein Mikrofon zu nahe an einem Lautsprecher steht, bildet sich mit der Zeit ein unerträglicher Pfeifton.
Immer öfter werden wir Zeugen solcher Verstärkungseffekte. Als der Fußballtorwart Robert Enke sich das Leben nahm, entwickelte sich daraufhin ein absurdes Spektakel. Sein Freitod glich einem Funken, der ein mediales Pulverfass entzündete: Pressekonferenzen, Interviews, Schweigeminuten, Trauermärsche und Gottesdienste. Am Ende sprach der Ministerpräsident auf einer Gedenkfeier. 40000 Fans warenangereist, die Trauerfeier wurde auf fünf Fernsehsendern in Deutschland live übertragen. Mehr als 130000 Menschen trugen sich in die Kondolenzliste ein!
Zweifelsohne ist es tragisch, wenn ein junger Familienvater sich das Leben nimmt, doch bei den ausufernden Reaktionen mag man sich schon fragen, ob die Verhältnismäßigkeit noch stimmt, oder ob die Medien vielleicht Opfer ihrer eigenen Selbstverstärkung werden.
Auch die Politik ist dieser Verführung längst erlegen und prahlt mit allerlei »Gipfeln«, »Skandalen« und »Krisensitzungen«. Supermarktketten locken ihre Kundschaft mit »MegaAngeboten«, und in Fastfoodrestaurants sucht man vergeblich Speisen in Normalgröße, denn hier ist alles nur ab Größe XL zu haben.
Alles ist groß und nimmt für sich in Anspruch, relevant und wichtig zu sein. Spätestens dann, wenn Sie mit Ihrer Frühstücksbestellung beim Kellner eine »gigantische« Euphorie auslösen, werden Sie mir zustimmen, dass wir doch etwas bescheidener werden sollten ...
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In der Schule lernen wir fürs Leben – oder?
82 Können Sie die folgenden Fragen beantworten?
A) Wie groß muss ein Spiegel sein, damit man sich ganz
darin sehen kann?
B) Warum ist es im Sommer warm und im Winter kalt?
C) Woher stammt das Holz der Bäume?
In Vorträgen bitte ich das Publikum, die Antworten auf
einem Zettel zu notieren, der anschließend eingesammelt wird. Die Stimmung im Saal
ist in solchen Situationen gespannt und erinnert viele an die eigene Schulzeit: die
Angst vor dem Versagen, die Benotung, das
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