Achsenbruch
Bauarbeiter aus der Ukraine in den Keller geschmuggelt, der dafür einen neuen Job bekommen sollte. Es war dasselbe Zeug, das in der Autobombe verwendet wurde, aber ist nicht identisch mit den Krachern, mit denen sein Arbeitgeber die halbe DDR in die Luft gejagt hat. Der Mann hatte wohl noch gute Kontakte zu anderen Afghanistan-Veteranen. Und wir vermuten, dass er die OB töten sollte, weil sie Potthoff auf der Abschussliste hatte.«
»Bleifinger?«
»Genau.«
»Habt ihr ihn einkassiert?«
»Negativ«, gestand Lohkamp. »Der Attentäter ist geflüchtet und hat sich umgebracht, weil er nicht verhaftet werden wollte. Es gab da ein nebulöses Jobangebot auf seinem Anrufbeantworter mit der Bedingung, für Bleifinger eine Kleinigkeit zu erledigen. Aber der hat sich damit herausgeredet, er hätte nur eine Kopie der Auftragsbücher seines derzeitigen Chefs haben wollen. Dazu sei es aber gar nicht gekommen.«
»Taugt die Ausrede etwas?«
»Sie ist hirnrissig. Korolenkos Chef stand kurz vor der Pleite. Aber seinen eigentlichen Auftrag können wir nicht beweisen. Was bleibt, ist also die reine Absicht, jemanden zu einer Art Wirtschaftsspionage anzustiften – und die ist nicht strafbar.«
Ein diskretes Räuspern unterbrach die Unterhaltung. »Wenn die Herrschaften gestatten …«
Alles lehnte sich zurück und der Frackträger kredenzte jedem der Gäste einen Suppenteller, der groß genug war, dass ein Eisbär darin baden konnte. Dann griff er zu einer Kelle mit dem Fassungsvermögen eines Eierbechers und schöpfte jedem aus einem mitgebrachten Töpfchen dreimal eine dickflüssige Tinktur auf das Porzellan – hell und heiß.
»Das ist eine Rahmsuppe von Süßkartoffeln und Zitronenblättchen mit einem Garnelentatar. Unser Küchenchef hat dafür zweieinhalb Löffel im Schlemmeratlas erhalten. Gesegneten Appetit, die Herrschaften!«
Einen Augenblick lang sah man sich verblüfft an, dann meinte Gabi Lohkamp: »Was bin ich froh, dass wir hier vier ganze Löffel bekommen haben.«
»Volltreffer«, kicherte Karin und die Damen klatschten einander ab.
»Und warum zum Teufel ist Potthoff zurückgetreten?«, fragte Mager.
»Keine Ahnung. Die Gerüchteküche tobt, aber ich weiß nichts Genaues. Vielleicht aus demselben Grund wie Flessek und heute unser Polizeipräsident.«
»Bitte? Der ist auch weg?«
Magers Verblüffung amüsierte den Polizisten: »Sag mal, wem habt ihr das Video über den Besuch im Puff denn zugespielt?«
»Och«, tat Mager völlig harmlos, »nur dir, der OB und Tenberge.«
»Hat ja wohl gereicht«, konstatierte Lohkamp. »Auf jeden Fall dreht sich im Rathaus jetzt das Personalkarussell. Und für den Film könntest du bei eBay Rekordsummen einfahren.«
Er hob sein Glas und stieß mit Mager an. Das dezente Klirren der Sektkelche rief wieder den dienstbaren Geist des Abends herbei.
»Beim nächsten Gang möchten wir Sie mit gegrilltem Hummer an einem Apfel-Curry-Couscous verwöhnen, für das unser Haus drei Michelin-Bestecke bekommen hat. Wenn ich Ihnen dazu einen sehr trockenen Weißwein empfehlen dürfte? Es handelt sich um einen Sauvignon Vigneti delle Dolomiti, den wir direkt vom Erzeuger beziehen. Wer von den Herren möchte kosten?«
»Das machen bei uns die Damen«, beschied ihn Lohkamp. Der Mann entfärbte sich schlagartig so sehr, dass Karin bereits in ihrer Handtasche nach einer Koffeintablette kramte.
Doch James wankte nur, fiel aber nicht. Ganz unauffällig stützte er sich an der nächsten Stuhllehne ab und hauchte noch ein »Sehr wohl« herüber, bevor er sich schwankend entmaterialisierte.
»Langsam gefällt es mir hier«, bekannte Mager und erntete – zumindest an ihrem Tisch – die vollste Zustimmung. Die Hundegesellschaft drei Meter weiter reagierte überhaupt nicht mehr, sondern begann eine philosophische Diskussion über die Vor- und Nachteile einer Einteilung des Volkes in verschiedene Kasten, wie es wohl noch in Indien üblich war.
»Welche der Damen ist denn so freundlich?« Statt der Bohnenstange im Gehrock, die um die Wiedergewinnung ihrer männlichen Ehre kämpfte, war nun eine junge Dame erschienen: deutlich kleiner, ein wenig füllig in den Hüften, aber sehr adrett gekleidet. Gekonnt öffnete sie die Flasche Sauvignon und reichte Gabi Lohkamp den Korken zu einer Duftprobe – doch diese zog ihre Nase erschreckt aus der Gefahrenzone: »Befürchten Sie etwa, dass der Wein nach Korken schmeckt?«
»Oh, gewiss nicht!«, versicherte die Schürzenträgerin und füllte zwei
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