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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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Läufe gerichtet. Dann rief er dem jüngeren der beiden Polizisten zu: »Gib mal deine Knarre!«
    Der Beamte wich erschrocken zurück. Der kapiert es nicht, dachte Lohkamp und streckte die Hand aus. »Gib sie mir. Ich nehm’s auf meine Kappe.«
    »Haben Sie keine eigene Waffe?«
    »Liegt im Büro. Mach schon. Du siehst doch, wie das Tier leidet!«
    Zögernd reichte der Kollege seine Dienstpistole herüber. Lohkamp nahm sie, lud durch und blickte den Bauern an: »Wo muss ich ansetzen?«
    Der kleine dicke Mann schluchzte und zeigte auf eine Stelle gleich hinter dem Ohr: »Hier!«
    Lohkamp presste die Mündung in das Fell des Tieres und blickte den Bauern an. Dann drückte er ab.
    10
    PEGASUS hätte das Drama vor dem Bauernhaus beinahe verpasst. Sie hatten die Sequenz mit der Oberbürgermeisterin und der unbekannten Trösterin im Kasten und schickten sich an, ihre Zelte abzubrechen, als der Hubschrauber über der Königsallee heranschwirrte. Während der ersten Runde, die der Pilot über dem Tal drehte, wurde Mager munter: In seinem Kopf lief plötzlich der Film ab, der den spektakulären Absturz einer Concorde in Paris zeigte und das Ende der zivilen Überschall-Fliegerei eingeläutet hatte. Instinktiv riss er seine Kamera wieder hoch, zoomte den Helikopter heran und ließ seine Sony durchlaufen, solange der Akku noch hielt. Aber als das Pferd sich am Boden wälzte, machte die Kamera schlapp.
    »Mensch, was ist dieser Pilot bescheuert!«, keuchte Mager, als der dumpfe Knall des Schusses zu ihnen herüberwehte. »Und die Bundespolizei wird für den Gaul eine schöne Stange Geld hinlegen müssen.«
    Einige Sekunden war es still auf dem Balkon und Mager beugte sich über die Balkonbrüstung: »Und diese Idioten von der Konkurrenz standen wieder mal an der falschen Stelle!«
    Während Susanne mit dem Balkonbesitzer über den Mietpreis feilschte, packten Vater und Sohn in seltener Eintracht ihre Arbeitsgeräte zusammen. Der Alte war mit der Aufarbeitung ihres Dreherfolges noch nicht fertig: »Aber diese Bochumer sind auch nicht bei Trost. Wie war das noch? Vor dreißig Jahren – vierundsiebzig oder fünfundsiebzig – während der Jagd auf Baader-Meinhof …«
    Kalle holte tief Luft und verdrehte die Augen, aber der Kameramann war dadurch nicht zu stoppen.
    »Damals haben sich zwei Streifenwagenbesatzungen gegenseitig beschossen. In einem Wäldchen an der Unistraße. Ein Anwohner hatte eine verdächtige Person ausgemacht und rief sofort die 110 an. Kurz darauf trafen zwei Streifenwagen ein – der eine auf der Unistraße und der andere in der Siedlung hinter dem Wäldchen. Beide Besatzungen stürmten in die Büsche, genau aufeinander zu. Und als sie im Gestrüpp Schritte hörten, eröffneten sie das Feuer. Auf die eigenen Kollegen.«
    Susanne hatte sich mit dem Gastgeber inzwischen geeinigt und ließ sich eine Quittung über hundertfünfzig Euro unterschreiben. Ihre Angestellten schnappten sich die silberfarbenen Metallkoffer und steuerten das Treppenhaus an.
    »Und wie ging die Schießerei aus?«, wollte der Sohn wissen.
    »Wie alles in Bochum. Fünfzig Schüsse und kein Treffer. Schade um die Munition.«
    Auf dem Weg in die Bochumer Innenstadt planten sie die Schnittbilder – kurze Filmsequenzen, die zur Untermalung des Berichttextes dienten. Mager fiel sofort das hässliche Rathaus ein, unter dessen Balkon einst halb Bochum dem letzten deutschen Reichskanzler zugejubelt hatte. Dann die große Glocke, mit der Krupp auf der Weltausstellung in Paris seinen friedlichen Charakter hatte demonstrieren wollen. Und der versteckte Platz hinter dem Anbau, den Bochum erst nach langem Zögern nach einer von den Nazis ermordeten Zigeunerin benannt hatte.
    »Ist mal wieder typisch!«, grollte Mager. »Für solche Namen sucht man in Bochum immer Orte aus, an denen keine Häuser stehen.«
    »Hä?«, machte Kalle.
    »Genau wie der Donezk-Ring. Der Name steht zwar auf dem Stadtplan, aber kein Bochumer muss die russische Stadt als Adresse erdulden. Tolle Vergangenheitsbewältigung.«
    »Deine ständige Meckerei kann ich auch nicht ewig erdulden!«, fauchte Susanne.
    »Verstehe ich«, heuchelte Mager. »Mit einem Parteibuch wie deinem hätte ich auch ein schlechtes Gewissen!«
    »Und du hast schlechtes Wissen«, warf der Sohn ein. »Donezk ist ukrainisch!«
    Bald glitt der PEGASUS-Skoda in die Tiefgarage unter dem Rathaus. Der Bau war schlecht ausgeleuchtet und so verwinkelt, dass Kalle schon nach zwei Kurven das Gefühl hatte, nie

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