Achtung, Superheld! (German Edition)
Was nahm man mit, wenn man ein Kind mit Superkräften bewachen sollte? Er beschloss, dass er besser zu viel als zu wenig dabeihaben sollte: eine Taschenlampe, Extrabatterien, eine Zweiliterflasche mit Limonade (damit er wach blieb), ein Buch mit Sherlock-Holmes-Geschichten (um die Zeit rumzukriegen, wenn nichts passierte), eine Trillerpfeife (damit er um Hilfe rufen konnte, wenn etwas passierte), eine Tüte Mini-Bifis, ein Kompass, ein Seil, eine Einwegkamera, eine Lupe und Ersatzunterwäsche (nur für den Fall).
»Ich dachte, du gehst zu einer Übernachtungsparty. Wo wohnt denn dein Freund? Am Grund eines Brunnens?«
Eine dünne Stimme hinter ihm schreckte Daniel aus seinen Gedanken auf. Als er sich umdrehte, war er überrascht, seine Oma zu sehen, die in der Tür stand.
»Gram? Solltest du nicht im Bett sein?«
»Ach was!«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Ich habe es satt, den ganzen Tag lang dieselben vier Wände anzustarren. Ich muss meinen Kreislauf in Schwung bringen.«
Doch Daniel hörte die Erschöpfung in ihrer Stimme und das papierene Knistern in ihrer Lunge, und er merkte, wie sie sich gegen den Türrahmen lehnte, damit der sie stützte. Der einfache Gang die Treppe hinauf hatte ihr das letzte bisschen Kraft geraubt.
Schnell schob er seine Sachen zur Seite und machte ihr Platz auf seinem Bett. »Hier, setz dich doch hin, Gram.«
»Tja, da habe ich nichts gegen. Nur während ich wieder zu Atem komme.«
Sie ließ sich schwerfällig auf dem Rand seines Bettes nieder. Es war ein langsamer Vorgang, vorsichtig und bedächtig. In den letzten Wochen bewegte sie sich immer so, als ob sie aus Glas sei und in einem Haus voller harter Kanten lebte.
Als sie endlich saß, knallte sie zufrieden ihren Stock auf den Boden und deutete auf die Sachen, die über Daniels Bett verstreut lagen.
»Ist es das, womit ihr Jungs euch heutzutage amüsiert?« Misstrauisch befingerte sie das Seil. »Jemanden zu fesseln und ihn die ganze Nacht lang zwangsweise mit Limonade und Mini-Bifis zu füttern?«
Daniel grinste, doch er merkte, wie sich in seinem Magen ein fester Klumpen aus Schuldgefühlen bildete – es gefiel ihm nicht, dass er sie anlügen musste. Nicht sie.
»Es ist nur Zeug«, sagte er. »Wir haben überlegt, ob wir in Simons Garten zelten.«
Grams Augen wurden schmal, als sie über seine Worte nachdachte. »Nun, dann seid vorsichtig. Da ist jede Menge Wald in der Nähe, und du wärst nicht der erste Junge, der mitten in der Nacht von tollwütigen Waschbären verschleppt wird. Weißt du, es gibt hier besonders große Exemplare.«
Daniel lachte. »Ich passe auf wie ein Luchs.«
»Ach, übrigens, ich hab gehört, du hast Mollie Lee von gegenüber kennengelernt. Die ist wirklich ein Schatz. Und ein echt liebes Mädchen. Findest du nicht auch?«
Der harte Klumpen in Daniels Magen machte einen überraschenden kleinen Hüpfer, als Gram Mollies Namen sagte. Warum lächelte sie so?
»Sie ist ganz okay«, sagte er schnell. »Für ein Mädchen, meine ich. Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Tatsächlich ist sie in vielerlei Hinsicht mehr wie ein Junge …«
Warum war es hier nur so stickig?
»Nun«, fuhr Gram fort, »ich erinnere mich noch gut, wie sie ein pummeliges kleines Ding mit Zöpfen und Rüschenkleidern war. Ihre arme Mutter hat jahrelang versucht, sie wie eine von diesen Porzellanpuppen anzuziehen, aber es sah irgendwie immer falsch an Mollie aus. Sie hat so viele hübsche Kleider schmutzig gemacht … Schließlich haben ihre Eltern es einfach aufgegeben.«
Daniel musste grinsen, wenn er sich Mollie in einem Irgendwas aus Rüschen vorstellte. »Das kann man ihnen nicht verübeln. Wenn Mollie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bringt sie niemand mehr davon ab.«
»Ist das so? Und was hat sie sich in letzter Zeit so in den Kopf gesetzt?«
Wieder machte der Klumpen einen Satz. Worauf wollte Gram hinaus?
»Nichts. Ich meine, sie hat immer das ein oder andere vor, aber das sind keine besonderen Sachen. Mädchenkram, du weißt schon.«
Gram nickte und legte das Kinn auf ihre Hände, während sie den Stock zwischen ihren Fingern drehte. Ihre gebeugte Gestalt warf einen Schatten gegen das Dachbodenfenster und über ihre Schulter hinweg sah Daniel die Sonne tief hinter den Baumwipfeln stehen. Im rötlich schimmernden Abendlicht sah sie aus wie vor ihrer Krebserkrankung – rosig und vor Gesundheit strotzend.
»Ich freue mich, dass du Freunde gefunden hast, Daniel. Ich weiß, dass es nicht
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