Acqua Mortale
Ausfallstraße, unterbrochen wurde. An den Marmorpollern, die den Autos die Zufahrt auf die Stadtmauer verwehrten, standen wie immer andere Läufer, dehnten ihre Muskeln, kontrollierten ihre Pulsuhren oder hielten einen kurzen Plausch. Normalerweise lief Dany einfach zwischen ihnen durch, grüßte nur im Notfall, aber heute hielt sie an und legte ihre Ferse auf einen Poller, um die Adduktoren zu dehnen. Sie hoffte, man würde ihr ihren Zustand ansehen, auch wenn das unmöglich war im ersten Monat.
Die anderen Läufer trabten davon, eine Frau trat zwischen den geparkten Autos hervor. Dany hatte Mühe, das Gesicht, das sie von Fotos kannte, wiederzuerkennen.
»Ich möchte kurz mit dir reden«, sagte Frau Zappaterra.
»Geht nicht, ich kühle aus. Außerdem wüsste ich nicht, dass wir per du sind«, antwortete Dany und war selbst erstaunt über ihre Schlagfertigkeit. Die Frau war dicklich und hatte geschwollene Tränensäcke. Dany empfand aber weder Eifersucht noch Abscheu oder Hass, eher ein bisschen Mitleid.
»Ich will Sie warnen.«
»Wovor?«
»Vor meinem Mann. Er wird Sie zerstören.«
Dany trabte auf der Stelle und sagte: »Ich verstehe, dass Sie alles versuchen, um ihn zu halten …«
»Im Gegenteil. Ich kann es nicht erwarten, ihn loszuwerden. Aber ich will nicht, dass er Sie auch noch zerstört.«
Dich hat nicht Andrea zerstört, sondern das viele tierische Fett, das du in dich hineingestopft hast, die Schnapspralinen, die Stunden vor der Glotze und der Zahn der Zeit, dachte Dany, aber sie sagte nichts.
»Er hat dir die Mutter genommen, den Vater, und jetzt holt er sich den Rest«, sagte Frau Zappaterra. Dany blieb abrupt stehen. Sie spürte ihren Pulsschlag im Hals, der plötzlich wieder zu rasen anfing.
»Was soll das heißen?«
»Da es dir offensichtlich nie jemand gesagt hat, muss ich es tun.«
»Ich will nichts hören. Sie sind verblendet von Hass und Eifersucht, sie werden uns nicht entzweien, unsere Liebe ist stärker als alles andere.«
Sie fing wieder zu laufen an, locker auf den Fußballen federnd, bewegte Dany sich zwischen den Autos hindurch auf den Bürgersteig. Die Frau rannte neben ihr her, auf ihren breiten hohen Absätzen, mit ihren pummeligen Beinen und ihrer Handtasche sah sie grotesk aus.
»Aus einer puren Laune heraus hat er deiner Mutter den Kopf verdreht, und als dein Vater ihn zur Rede stellen wollte …«
Dany beschleunigte, holte jetzt weit aus, ließ die Schienbeine locker nach vorne fliegen und rannte über den Zebrastreifen, auf dem schon vier Läufer zu Tode gekommen waren. Die Autos konnten aber rechtzeitig bremsen. Frau Zappaterra keuchte hinter ihr.
»Jetzt bleib doch stehen. Er hat ihn fast totgeprügelt, auch das aus einer puren Laune. Dein Vater war nicht immer so.« Den letzten Satz hatte sie geschrien, und Dany meinte, alle Fenster an den modernen Wohnblocks müssten sich öffnen, die ganze Stadt ihre Schande hören.
Sie blieb stehen und drehte sich um. »Sie lügen«, zischte sie.
Frau Zappaterra schnappte nach Luft, sie hatte den Oberkörper nach unten geklappt und stützte sich auf den Oberschenkeln ab. Sie schüttelte heftig den Kopf. Dann zog sie sich an einem Straßenschild hoch und sagte: »Ich kann dir die Briefe zeigen, und die Fotos.«
Dany meinte, das Kleine zu spüren. Ein kleiner Zappaterra. Wieder sah sie ihre Mutter vor sich, mit aufgeschnittenen Pulsadern, in der Wohnküche. Und plötzlich fügte sich alles zu einem klaren Bild. Die irrsinnige Szene, die ihr Vater ihr gemacht hatte, war nicht vom Irrsinn diktiert gewesen. Das Kleine schien treten zu wollen, obwohl es noch keine zwei Zentimeter lang war. Ein Monster, wie sein Vater.
»Gibt es einen Ort, an dem wir uns in Ruhe unterhalten können?«, fragte die Frau und hielt Dany ein Foto vors Gesicht. Ihre Mutter, eine strahlende junge Frau, in den Armen eines muskulösen Burschen. Zappaterra, gerade mal zwanzig.
»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Wir zahlen es ihm heim«, sagte die Frau. Sie holte ein Etui aus ihrer Handtasche. »Ich habe jede Menge Material mitgebracht.«
Dany wurde schwarz vor Augen, und dann hörte sie die Stimme der Frau nur noch aus weiter Ferne.
72
Kaum war Pirri allein, trieb die Angst ihn wieder um. Er lief zwischen Fenster und Videomonitor hin und her, dann schaute er aus dem Schlafzimmer hinunter in den Garten. Inzwischen war Erica fast vier Stunden unterwegs. So lange hatte sie noch nie für einen Einkauf gebraucht. Er wählte ihre Handynummer, aber es
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