Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
nicht gern, ehrlich, aber Sie können in der Agentur fragen, wen Sie wollen, die werden Ihnen alle das gleiche erzählen. Es kam wohl vieles daher, daß sie so einsam war, sich nach Marge sehnte und es ihr gleichzeitig übelnahm, daß sie sie im Stich gelassen hatte. Aber Marge war da knallhart. Als es darum ging, sich zwischen ihren geliebten Nichten und Esme zu entscheiden, da hatte Esme gar keine Chance. Und ich glaube, Esme wußte auch, daß sie mit ihren Büchern auf dem absteigenden Ast war. Wir sahen weiß Gott keinen rosigen Zeiten entgegen. Daß Peverell Press Tod auf Paradise Island abgelehnt hat, das war erst der Anfang.«
»Und war dabei wirklich Gerard Etienne die treibende Kraft?«
»Doch, schon, ja. Bei Peverell lief so ziemlich alles so, wie Etienne es wollte. Aber in Esmes Fall bezweifle ich, ob sich überhaupt irgendwer ernsthaft für sie engagierte, außer vielleicht James de Witt, und der hat bei Peverell nicht viel zu melden. Natürlich hab’ ich, gleich als Gerards Brief kam, im Verlag angerufen und Krach geschlagen. Aber gebracht hat das nichts. Und der neue Roman hatte wirklich kein Niveau, selbst für ihre Maßstäbe nicht. Kennen Sie eigentlich Esmes Bücher?«
Dalgliesh sagte vorsichtig: »Esme Carling war mir als Schriftstellerin natürlich ein Begriff, aber gelesen habe ich noch nichts von ihr.«
»So schlecht war sie auch wieder nicht. Ich meine, sie hatte eine ziemlich geschliffene Prosa drauf, und das ist heutzutage schon eine Seltenheit. Andernfalls hätte Peverell Press sie natürlich gar nicht erst genommen. Aber sie war nicht konsequent, hatte keinen einheitlichen Stil. Gerade, wenn man dachte, mein Gott, dieses Gefasel halte ich einfach nicht länger aus, überraschte sie einen mit einer wirklich guten Passage, und plötzlich wurde das Buch lebendig. Und für ihren Detektiv hatte sie sich eine ganz pfiffige Figur ausgedacht, oder vielmehr zwei, es handelte sich nämlich um ein Rentnerehepaar, die Mainwarings, Malcolm und Mavis. Er war vor seiner Pensionierung Filialleiter einer Bank, sie ist ehemalige Lehrerin. Wirklich ganz hübsch und originell. Kam beim älteren Publikum gut an. Identifikationsfiguren für den Leser und so. Gelangweiltes Pensionistenpaar auf Spurensuche, beide haben jede Menge Zeit, Mord zu ihrem Hobby zu machen, nutzen dabei ihre lebenslange Erfahrung, um die Polizei auszutricksen, und obendrein triumphiert noch die Weisheit des Alters über die haarsträubende Unreife der Jugend – so in dem Stil halt. Ist ja mal ’ne nette Abwechslung, wenn ein Detektiv sich mit Arthritis rumplagt. Aber langsam wurden sie doch ein bißchen fad – ich meine die Mainwarings. Esme hatte den grandiosen Einfall, Malcolm mit verdächtigen jungen Damen anbändeln zu lassen, und wenn er dann in der Klemme steckte, kam Mavis und rettete ihn. Wahrscheinlich war diese kleine Abwechslung als humorvolles Intermezzo gedacht, aber der Gag lief sich bald tot. Ich meine, nichts gegen Alterssex, und falls einen so was auf Touren bringt, okay, aber in der Unterhaltungsliteratur ist derlei nun mal nicht gefragt. Dabei wurde Esme auch noch von Buch zu Buch deutlicher. Ein Lustgreis, der den Mädels an die Wäsche geht, daß die Fetzen fliegen! Das war nun wirklich nicht ihr Metier. Und zu Malcolm Mainwaring als Figur hat das auch absolut nicht gepaßt. Na, und dann konnte sie partout keinen Plot konstruieren. Mein Gott, ich sag’ das wirklich ungern, aber sie hat’s einfach nicht gekonnt. Und Sie wollten ja schließlich die Wahrheit hören, oder? Sie hat doch tatsächlich anderen Autoren – nur toten, versteht sich – die Ideen geklaut und sich die Story dann mit ein paar eigenen Wendungen zurechtgeschneidert. Aber allmählich fiel das auf. Und damit hat Gerard Etienne ja auch argumentiert, als er Tod auf Paradise Island ablehnte. Es sei elend langweilig zu lesen, hat er gesagt, und die einzigen Passagen, bei denen man nicht gähnen müsse, die würden ihn allzu deutlich an Das Böse unter der Sonne von Agatha Christie erinnern. Ich glaube, es fiel sogar der gefürchtete Begriff ›Plagiat‹. Na ja, und dann hatte Esme natürlich noch dieses andere Problem, das einem den Umgang mit ihr auch nicht gerade erleichterte.«
Velma malte die Umrisse einer Flasche in die Luft und hob zum Schluß pantomimisch ein Glas an die Lippen.
»Wollen Sie damit sagen, daß Mrs. Carling Alkoholikerin war?«
»Zumindest war sie auf dem besten Wege, eine zu werden. Nach dem Zwölfuhrläuten kriegten
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