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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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vielleicht eine gewisse Verpflichtung, aber die ist mit seinem Tod erloschen. Wir dürfen uns nicht zu Sklaven des Todes machen.«
    Kaum war es heraus, da hätte er seine Worte am liebsten wieder zurückgenommen. Wie, wenn sie ihn nun fragte: »Und was ist mit dir? Bist du denn etwa nicht der Sklave des Todes? Der Sklave deiner verstorbenen Frau und deiner armen Kinder?« Wie um ihr zuvorzukommen, fuhr er hastig fort: »Wenn du frei wählen könntest, was würdest du dann am liebsten tun?«
    »Mit Kindern arbeiten, glaub’ ich. Vielleicht als Grundschullehrerin. Das Examen hab’ ich ja schon. Wahrscheinlich müßte ich nur noch ein Jahr für die pädagogische Ausbildung dranhängen. Und dann würde ich gerne auf dem Land arbeiten oder in einer Kleinstadt irgendwo draußen.«
    »Dann mach das doch! Du kannst dich sehr wohl frei entscheiden. Nur versuche nicht, dem Glück hinterherzujagen. Such’ dir den richtigen Job am richtigen Ort und richte dir dein Leben ein, wie es dir paßt. Dann kommt das Glück schon von ganz allein. Die meisten von uns kriegen ihr Teil davon ab. Manche sogar mehr als ihnen zusteht, auch wenn es dann nur allzu kurz währt, das Glück.«
    »Fehlt bloß noch, daß du jetzt Blake zitierst«, sagte sie, »dieses Gedicht, in dem es heißt, das feine Gewebe von Freud und Leid sei für die göttliche Seele ein Kleid. Warte, wie geht das noch mal?
    Es ist recht, es sollte so sein,
    der Mensch ward gemacht für Freude und Pein,
    und wer dies immer im Sinne behält,
    geht unangefochten durch die Welt.
    Aber du glaubst ja nicht an die göttliche Seele, oder?«
    »Nein, das wäre der totale Selbstbetrug.«
    »Trotzdem paßt das ›unangefochten durch die Welt gehen‹ gut auf dich. Und du bist imstande zu hassen. Ich glaube, ich hab’ immer gewußt, daß du Gerard haßt.«
    »Nein, du irrst dich, Frances. Ich hasse ihn nicht. Ich empfinde gar nichts für ihn, überhaupt nichts. Und damit bin ich für ihn sehr viel gefährlicher als du es je sein kannst. Aber sollten wir nicht langsam mit unserer Schachpartie beginnen?«
    Als Frances zustimmend nickte, holte er das schwere Schachbrett aus dem Eckschrank, und sie schob den Tisch zwischen die Sessel und half Dauntsey dann, die Figuren aufzustellen. Als er ihr mit der Frage: »Na, schwarz oder weiß?« die geschlossene Faust hinstreckte, fügte er scherzhaft hinzu: »Ich finde, du könntest mir eine Vorgabe gönnen, als Tribut der Jugend an das Alter.«
    »Unsinn, letztes Mal hast du mich geschlagen. Nein, nein, wir spielen gleich.«
    Sie war selbst überrascht. Früher hätte sie in so einem Fall ohne weiteres nachgegeben. Es war ein erstes Anzeichen von Durchsetzungsvermögen, und sie sah, daß er lächelte, während er mit steifen Fingern die Figuren zurechtrückte.

6
    Miss Blackett fuhr jeden Abend heim nach Weaver’s Cottage in West Marling in Kent, wo sie seit neunzehn Jahren mit ihrer älteren, verwitweten Cousine Joan Willoughby zusammenwohnte. Die beiden Frauen waren sich zugetan, ohne daß sie je ein besonders herzliches Verhältnis zueinander gehabt hätten. Mrs. Willoughby hatte seinerzeit einen Pfarrer im Ruhestand geheiratet, und als der drei Jahre nach der Hochzeit starb – länger, so mutmaßte Miss Blackett insgeheim, hätten die beiden Ehepartner es wohl nicht miteinander ausgehalten –, da bot es sich einfach an, daß seine Witwe ihrer Cousine vorschlug, ihre schäbige Mietwohnung in Bayswater zu kündigen und zu ihr ins Cottage zu ziehen. In den neunzehn Jahren ihres Zusammenlebens hatte sich frühzeitig und eher beiläufig als geplant eine Routine herausgebildet, mit der beide zufrieden waren. Joan führte den Haushalt und kümmerte sich um den Garten, Blackie kochte am Sonntag die Hauptmahlzeit, die stets pünktlich um eins auf den Tisch kam, und dafür wurde ihr die Morgenandacht erlassen, der Abendgottesdienst allerdings nicht. Blackie, die als erste aufstand, brachte ihrer Cousine den Morgentee und kochte abends um halb elf Kakao oder Ovomaltine für den Schlummertrunk. In der zweiten Julihälfte fuhren sie gemeinsam in Ferien, meist ins Ausland, denn engere verwandtschaftliche Bindungen hatten beide nicht mehr. Im Juni freuten sie sich jedes Jahr auf die Tennismeisterschaften in Wimbledon, und am Wochenende leisteten sie sich hin und wieder einen Konzert-, Theater- oder Museumsbesuch. Jede für sich fand, auch wenn sie es nicht aussprach, daß sie es gut getroffen habe.
    Weaver’s Cottage lag am Nordrand des Dorfes.

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