Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Schritte oder
so ähnlich, hast du vielleicht schon gehört. Ich selber hab sie nie in
der Hand gehabt, weil ich nicht auf solchen Schulen war. Aber wenn
Schulbücher zum Standard werden, geadelt durch langen Gebrauch,
verdient man einen Haufen Geld damit. Sie werden immer wieder
aufgelegt. Und mit Geld konnte der Alte umgehen. Er hatte das Talent,
es zu vermehren.«
Rhoda antwortete: »Es erstaunt mich, dass es für deine Cousins
so viel zu erben gibt. Zwei Todesfälle so kurz hintereinander, Vater
und Großvater, da müssen die Forderungen des Finanzamts doch horrend
gewesen sein.«
»Da hatte Großpapa Theodore vorgesorgt. Ich sag ja, mit Geld
kannte er sich aus. Er hat eine Art Versicherung abgezweigt, bevor die
Geschichte mit seiner letzten Krankheit anfing. Auf jeden Fall ist das
Geld da. Sobald das Testament rechtskräftig ist, gehört es ihnen.«
»Und du hättest gerne einen Teil davon.«
»Offen gesagt finde ich, mir würde ein Teil davon zustehen.
Theodore Westhall hatte zwei Kinder, Peregrine und Sophie. Sophie war
meine Mutter. Ihre Eheschließung mit Keith Boyton stieß bei ihrem Vater
auf wenig Verständnis. Ich glaube, er hat sogar versucht, sie zu
unterbinden. Er hielt Keith für einen faulen, nichtsnutzigen
Goldgräber, der nur hinter dem Geld der Familie her war, und wenn ich
ehrlich bin, lag er damit nicht ganz falsch. Meine arme Mami ist
gestorben, als ich sieben war. Ich wurde von meinem Vater
großgezogen – mitgeschleppt ist das passendere Wort.
Irgendwann hat er es aufgegeben und mich in Dotheboys Hall, dieses
sogenannte Internat, gesteckt. Seit Dickens hat sich vielleicht ein
bisschen was verbessert, aber nicht wesentlich. Das Schulgeld übernahm
ein Wohlfahrtsverein, viel war's eh nicht. Das war keine Schule für
einen hübschen Knaben wie mich, schon gar nicht für einen, der das
Schild Fürsorgekind um den Hals baumeln hatte.«
Er griff nach seinem Weinglas, als wäre es eine Handgranate,
seine Knöchel waren weiß. Rhoda fürchtete schon, es könnte ihm in der
Hand zerspringen, aber er lockerte den Griff, lächelte sie an und hob
das Glas an die Lippen. »Seit Mamis Heirat waren die Boytons die
Aussätzigen der Familie«, sagte er. »Die Westhalls vergessen und
vergeben nichts.«
»Wo ist dein Vater jetzt?«
»Ehrlich gesagt habe ich nicht die leiseste Ahnung, Rhoda. Als
ich mein Stipendium für die Schauspielschule bekam, war er gerade nach
Australien ausgewandert. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr gehabt.
Vielleicht ist er wieder verheiratet, oder er ist tot oder beides. Wir
standen uns nicht besonders nahe. Er hat uns nicht einmal Geld
geschickt. Die arme Mami musste Schreibmaschine lernen, um in einem
Sekretärinnenpool ein schmales Einkommen zu verdienen. Seltsamer
Ausdruck, Sekretärinnenpool. So etwas gibt es glaube ich gar nicht
mehr. Und Mamis Firma war ein besonders schlimmer Sauladen.«
»Hast du nicht mal gesagt, du bist Waise?«
»Bin ich das denn nicht? Und wenn mein Vater nicht tot ist, er
ist jedenfalls nicht mehr da. Nicht einmal eine Postkarte in acht
Jahren. Wenn er nicht tot ist, ist er alt. Er war fünfzehn Jahre älter
als meine Mutter, er muss weit über sechzig sein.«
»Es ist also nicht damit zu rechnen, dass er plötzlich
auftaucht und ein Teil vom Erbe beansprucht.«
»Und wenn er es täte, würde er nichts kriegen. Ich habe das
Testament nicht gesehen, aber als ich beim Familiennotar angerufen
habe – nur interessehalber versteht sich –, wollte er
nicht mit einer Kopie rausrücken. Er schickt mir eine, sobald das
Testament rechtskräftig ist, hat er gesagt. Aber ich glaube nicht, dass
ich mich da reinhänge. Bevor die Westhalls einem Boyton etwas geben,
spenden sie ihr Geld lieber einem Katzenasyl. Mein Anspruch gründet
sich auf Fairness, nicht auf das Gesetz. Ich bin ihr Cousin. Ich habe
den Kontakt aufrechterhalten. Sie haben mehr Geld, als sie ausgeben
können, und sind stinkreich, wenn das Testament vollstreckt ist. Ein
bisschen Großzügigkeit würde ihnen nicht weh tun. Deshalb fahre ich
hin. Damit sie nicht vergessen, dass es mich gibt. Onkel Peregrine hat
Großvater um ganze fünfunddreißig Tage überlebt. Ich möchte wetten, der
alte Theodore hat nur so lange durchgehalten, weil er seinen Sohn
überleben wollte. Ich weiß ja nicht, was passiert wäre, wenn Onkel
Peregrine als Erster gestorben wäre, aber wenn es juristisch noch so
kompliziert geworden wäre, ich hätte doch keinen müden Penny gesehen.«
»Trotzdem müssen
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