Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
deine Cousins sich Sorgen gemacht haben. Es
gibt eine Klausel, die für alle Testamente gilt: Wenn der
Vermächtnisnehmer den Tod des Erblassers nicht um achtundzwanzig Tage
überlebt, ist er nicht erbberechtigt. Sie werden sich größte Mühe
gegeben haben, ihren Vater am Leben zu erhalten – falls er die
entscheidenden achtundzwanzig Tage überhaupt überlebt hat. Vielleicht
haben sie ihn auch in eine Gefriertruhe gesteckt und am Stichtag hübsch
und frisch wieder vorgezeigt. Diese Geschichte gibt es in einem
Kriminalroman von Cyril Hare. Ich glaube, das Buch heißt Der
Tote von Exmoor , kann
auch sein, dass es ursprünglich unter einem anderen Titel
veröffentlicht war. An viel kann ich mich nicht erinnern. Ich hab es
vor Jahren mal gelesen. Er war ein eleganter Autor.«
Er schwieg und schenkte Wein ein, mit den Gedanken ganz
woanders.
Mein Gott, nimmt er diesen Unsinn tatsächlich für
bare Münze, dachte sie belustigt und auch ein bisschen
besorgt. Wenn er der Sache allen Ernstes nachging, würde eine solche
Beschuldigung unweigerlich zum endgültigen Zerwürfnis mit Cousin und
Cousine führen. Nichts dürfte ihm die Türen zum Rose Cottage und dem
Cheverell Manor endgültiger verschließen als der Vorwurf des
Testamentsbetrugs. Der Roman war ihr spontan in den Sinn gekommen, und
sie hatte drauflos geplappert, ohne nachzudenken. Dass er ihre Worte
jetzt ernst zu nehmen schien war absurd.
Wie um den Gedanken abzuschütteln, sagte er: »Das ist
natürlich abwegig.«
»Natürlich. Was stellst du dir vor, dass Candace und Marcus
Westhall im Krankenhaus auftauchen, wenn ihr Vater schon im Sterben
liegt, ihn mit nach Hause nehmen und in eine Gefriertruhe stecken,
sobald er gestorben ist, um ihn acht Tage später wieder aufzutauen?«
»Dazu hätten sie nicht ins Krankenhaus gehen müssen. Candace
hat ihn während der letzten zwei Jahre bei sich zu Hause gepflegt. Die
beiden alten Männer, Großvater Theodore und Onkel Peregrine, lagen im
selben Pflegeheim in der Nähe von Bournemouth, doch als das zu einer
immer größeren Zumutung für das Pflegepersonal wurde, bestand die
Leitung darauf, dass einer von beiden das Heim verließ. Peregrine
verlangte von Candace, dass sie ihn zu sich nahm. Dort ist er bis
zuletzt geblieben, nur ein tatteriger alter Hausarzt hat hin und wieder
nach ihm gesehen. Ich habe ihn während der letzten zwei Jahre gar nicht
mehr zu Gesicht bekommen. Er ließ keine Besucher zu sich. Es wäre also
möglich gewesen.«
»Ach, Unsinn«, sagte sie. »Erzähl mir von den anderen Leuten
im Manor. Zumindest von denen, auf die es ankommt. Wen werde ich dort
kennenlernen?«
»Also, zuerst natürlich Big George persönlich. Und dann die
Bienenkönigin des Pflegepersonals, Oberschwester Flavia
Holland – sehr sexy, wenn man auf Schwesterntracht steht. Mit
den anderen Pflegern will ich dich nicht langweilen. Die meisten kommen
morgens mit dem Auto aus Wareham, Bournemouth oder Poole. Der
Anästhesist hat früher als Kassenarzt gearbeitet und von der
Gesundheitsbehörde genommen, was er kriegen konnte. Später hat er sich
in ein gemütliches kleines Cottage an der Küste bei Purbeck
zurückgezogen. Die Halbtagsstelle im Manor ist der ideale Job für ihn.
Interessanter ist Helena Haverland, geborene Cressett. Sie nennt sich
Verwalterin, und das bezeichnet so ziemlich alles, von der
Haushaltsleitung bis zur Kontrolle der Geschäftsbücher. Sie kam nach
ihrer Scheidung vor sechs Jahren ins Manor. Das Interessante an Helena
ist ihr Name. George hat das Manor nach dem Debakel bei Lloyd's von
ihrem Vater, Sir Nicholas Cressett, gekauft. Er war im falschen
Syndikat und hat alles verloren. Als George den Job des Hauptverwalters
ausschrieb, hat Helena sich beworben und wurde eingestellt. Ein Mann
mit mehr Fingerspitzengefühl als George hätte sie nicht genommen. Aber
sie kannte das Haus genauestens, und soviel ich gehört habe, hat sie
sich unentbehrlich gemacht, und das war klug von ihr. Sie kann mich
nicht ausstehen.«
»Wie unvernünftig.«
»So sehe ich das auch. Aber im Grunde kann sie niemanden
ausstehen. Da dürfte ein gewisser Familiendünkel im Spiel sein.
Immerhin hat das Landgut den Cressetts fast vierhundert Jahre gehört.
Ach, und die beiden Köche sollte ich noch erwähnen, Dean und Kim
Bostock. George scheint das Ehepaar von einem richtig guten Laden
abgeworben zu haben. Das Essen soll ausgezeichnet sein. Ich bin leider
nie eingeladen worden, es zu probieren. Dann ist da noch Mrs.
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