Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Sie alle zu
versammeln, damit Sie hören, was er zu sagen hatte. Wie Sie wissen,
wird Sharon uns in ein paar Tagen verlassen. In ihrer Vergangenheit gab
es einen Vorfall, aufgrund dessen eine Bewährungshelferin für ihre
weitere Entwicklung und ihr Wohlergehen zuständig ist. Es wurde für das
Beste gehalten, dass Sharon das Manor verlässt. Man hat mich wissen
lassen, dass Sharon mit den Vorkehrungen, die für sie getroffen wurden,
einverstanden ist. Mehr hat man mir nicht gesagt, und mehr zu erfahren
hat niemand ein Recht. Ich muss Sie bitten, nicht miteinander über
Sharon zu reden und sie auch nicht auf ihre Vergangenheit oder ihre
Zukunft anzusprechen, denn das ist beides nicht unsere Angelegenheit.«
»Bedeutet das, dass Sharon nicht länger als Verdächtige gilt,
wenn dem überhaupt so war?«, fragte Marcus.
»Vermutlich.«
Flavias Gesicht war gerötet, ihre Stimme klang unsicher.
»Könnten wir Näheres darüber erfahren, was sie für einen Status hier
hat? Sie hat uns mitgeteilt, dass sie nicht vorhat, hier noch Arbeiten
zu verrichten. Da das Manor offensichtlich als Tatort gilt, nehme ich
an, dass wir kein Reinigungspersonal aus dem Dorf holen dürfen. Da im
Moment keine Patienten im Haus sind, hält die Arbeit sich in Grenzen,
aber irgendjemand muss sie machen.«
»Kim und ich können helfen«, schlug Dean vor. »Aber was ist
mit dem Essen? Normalerweise isst sie mit uns in der Küche. Angenommen,
sie bleibt oben – soll Kim ihr das Essen auf dem Tablett
hochtragen und es ihr servieren?« Sein Tonfall machte deutlich, dass er
das für inakzeptabel hielt.
Helena warf Chandler-Powell einen kurzen Blick zu. Es war
offensichtlich, dass seine Geduld äußerst strapaziert war. »Natürlich
nicht«, sagte sie. »Sharon sind die Essenszeiten bekannt. Wenn sie
Hunger hat, wird sie sich schon blicken lassen. Es geht ja nur um einen
oder zwei Tage. Wenn es irgendwelche Probleme gibt, geben Sie mir bitte
Bescheid, ich rede dann mit Commander Dalgliesh. Ansonsten fahren wir
möglichst fort wie gewöhnlich.«
Zum ersten Mal ergriff Candace das Wort. »Ich habe ja zu
denjenigen gehört, die das Einstellungsgespräch geführt haben, daher
sollte ich wohl etwas Verantwortung für Sharon mit übernehmen. Es wäre
vielleicht hilfreich, wenn sie zu Marcus und mir ins Stone Cottage
ziehen würde, falls Commander Dalgliesh nichts dagegen hat. Platz haben
wir. Und sie kann mir mit Vaters Büchern helfen. Es ist nicht gut für
sie, wenn sie nichts zu tun hat. Außerdem ist es an der Zeit, dass
jemand sie von ihrer Besessenheit mit Mary Keyte abbringt. Letzten
Sommer hat sie immer Blumen gepflückt und auf den Stein in der Mitte
gelegt. Das ist morbide und tut ihr nicht gut. Ich gehe gleich zu ihr
hinauf und sehe nach, ob sie sich beruhigt hat.«
»Bitte tun Sie das«, sagte Chandler-Powell. »Als Lehrerin
haben Sie sicherlich mehr Erfahrung als wir Übrigen, wenn es darum
geht, mit der aufsässigen Jugend umzugehen. Commander Dalgliesh hat mir
versichert, dass Sharon nicht überwacht werden muss. Falls dem doch so
sein sollte, dann ist es Sache der Polizei oder der Bewährungshilfe,
dafür zu sorgen, nicht unsere. Ich habe meine Reise nach Amerika
abgesagt. Am Donnerstag muss ich wieder in London sein, und ich brauche
Marcus dabei. Es tut mir leid, wenn sich das anhört, als würde ich Sie
im Stich lassen, aber ich muss mich dringend um die Kassenpatienten
kümmern, die ich diese Woche hätte operieren sollen. Ich musste
natürlich sämtliche Operationen absagen. Der Wachdienst ist aber
weiterhin hier, und ich sorge dafür, dass zwei der Männer hier im Haus
schlafen.«
»Und die Polizei?«, fragte Marcus. »Hat Dalgliesh gesagt, wann
sie wieder abzureisen gedenken?«
»Nein, und ich war nicht so kühn zu fragen. Sie sind erst seit
drei Tagen hier, und solange sie keine Verhaftung vornehmen, werden wir
die Anwesenheit der Polizei wohl noch eine Weile hinnehmen müssen.«
»Wir werden sie hinnehmen müssen, Sie nicht. Sie fahren ja
nach London. Was sagt denn die Polizei dazu, dass Sie abreisen?«,
fragte Flavia.
Chandler-Powell musterte sie kalt. »Mit welchem Recht sollte
Commander Dalgliesh mich hier festhalten?«
Dann verschwand er. Bei der kleinen Gruppe blieb der Eindruck
zurück, dass sie sich irgendwie alle unvernünftig verhalten hatten. Sie
schwiegen betreten und schauten einander nur an. Candace brach das
Schweigen. »Ich nehme mir jetzt besser mal Sharon vor. Helena,
vielleicht reden Sie noch einmal unter
Weitere Kostenlose Bücher