Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
vier Augen mit George. Ich weiß,
ich wohne im Cottage, und es betrifft mich nicht so wie die anderen,
aber auch ich arbeite hier im Haus, und mir wäre es lieber, wenn die
Leute vom Wachdienst außerhalb des Manor übernachten würden. Es ist
schon schlimm genug, den Wohnwagen vor dem Tor parken und sie
herumlaufen zu sehen, da muss man sie nicht noch im Haus haben.«
Dann verließ auch sie den Raum. Mog hatte in einem der
stattlichsten Sessel gesessen und Chandler-Powell teilnahmslos
zugehört, ohne ein Wort zu sagen. Nun stemmte er sich hoch und verließ
den Raum. Der Rest der Gruppe wartete auf die Rückkehr von Candace,
aber da Chandler-Powells Verbot, über Sharon zu sprechen, Gespräche
unmöglich machte, zerstreuten sie sich nach einer halben Stunde, und
Helena zog die Tür der Bibliothek fest hinter ihnen zu.
8
D ie drei Tage in der Woche, an denen im
Manor keine Patienten operiert wurden, weil George Chandler-Powell sich
in London aufhielt, gaben Candace und Lettie Gelegenheit, an der
Buchhaltung zu arbeiten, sich um etwaige finanzielle Differenzen mit
den Aushilfen zu kümmern und die Rechnungen für das zusätzliche Essen
für die Krankenschwestern, Techniker und den Anästhesisten zu
begleichen, die nicht im Hause wohnten. Im Manor herrschte zu
Wochenbeginn eine völlig andere Stimmung als in der zweiten
Wochenhälfte, und den beiden Frauen war dieser Wechsel sehr willkommen.
Trotz der oberflächlichen Ruhe an Operationstagen schien die bloße
Anwesenheit von George Chandler-Powell und seinem Team die ganze
Atmosphäre zu durchdringen. Aber am Tag bevor er nach London aufbrach,
herrschte fast völlige Ruhe. Der hochangesehene und überarbeitete
Chirurg Chandler-Powell wurde zum Landjunker Chandler-Powell, der sich
mit häuslicher Routine zufriedengab, die er nie kritisierte oder zu
beeinflussen versuchte, ein Mann, der das Alleinsein atmete wie frische
Luft.
Aber an diesem Dienstagmorgen, dem vierten Tag nach dem Mord,
befand er sich immer noch auf dem Manor, seine Termine in London waren
verschoben worden, und er selbst war offenbar hin- und hergerissen
zwischen seiner Verpflichtung gegenüber den Patienten im St. Angela's
und der Notwendigkeit, den verbliebenen Angestellten im Manor zur Seite
zu stehen. Aber am Donnerstag wollten er und Marcus abreisen. Sie
würden zwar am Sonntagvormittag schon wieder zurück sein, doch die
Reaktionen auch auf diese kurze Abwesenheit waren gemischt. Die Leute
schliefen schon hinter abgeschlossenen Türen, obwohl Candace und Helena
Mr. Chandler-Powell erfolgreich davon abgebracht hatten, nächtliche
Patrouillen durch die Polizei oder den Wachdienst einzuführen. Die
meisten Bewohner hatten sich eingeredet, ein Eindringling,
wahrscheinlich der Besitzer des abgestellten Wagens, müsse Miss Gradwyn
umgebracht haben, und hielten es für wenig wahrscheinlich, dass er sich
ein weiteres Opfer suchen würde. Aber die Schlüssel zur Westtür musste
er ja noch haben – ein beängstigender Gedanke. Mr.
Chandler-Powell war kein Garant für Sicherheit, aber er war Eigentümer
des Manor, ihr Mittelsmann zur Polizei, eine beruhigende Autorität vor
Ort. Andererseits ärgerte er sich offensichtlich über die
Zeitverschwendung und wollte dringend wieder an die Arbeit. Und ohne
seine ruhelosen Schritte und die manchmal übellaunigen Bemerkungen
würde es im Manor friedlicher zugehen. Die Polizei äußerte sich immer
noch nicht zum Fortschritt der Ermittlungen, so es überhaupt welchen
gab.
Die Nachricht von Miss Gradwyns Tod war natürlich in den
Medien gemeldet worden, aber zur allgemeinen Erleichterung war die
Berichterstattung erstaunlich knapp und vage ausgefallen, außerdem
erregten gerade ein politischer Skandal und die besonders erbittert
geführte Scheidungsschlacht eines Popstars größeres Aufsehen.
Lettie fragte sich, ob womöglich Einfluss auf die Medien
ausgeübt worden war. Doch die Zurückhaltung würde nicht von Dauer sein,
spätestens nach der ersten Verhaftung würde der Damm brechen und das
Schmutzwasser über sie hinwegspülen.
Jetzt waren keine Teilzeitkräfte mehr im Haus, der
Patientenflügel war geschlossen, meistens war der Anrufbeantworter
eingeschaltet und die Anwesenheit der Polizei erinnerte täglich an die
Verstorbene, die sie im Geiste immer noch im Schweigen des Todes hinter
der versiegelten Tür liegen sahen. Daher empfand es Lettie als Trost,
dass stets Arbeit zu erledigen war, und sie vermutete, dass es Candace
genauso ging. Am
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