Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Rhoda Gradwyn nicht
getötet. Wissen Sie, wer es getan hat?«
»Nein, ich weiß es nicht. Und ich halte es für
unwahrscheinlich, dass ich es Ihnen sagen würde, wenn ich es wüsste,
Commander.«
Sie erhob sich vom Tisch, um zu gehen. Weder Dalgliesh noch
Kate machten Anstalten, sie aufzuhalten.
7
I n den drei Tagen, die auf den Mord an Rhoda
Gradwyn folgten, wunderte sich Lettie, wie kurz nur dem Tod eine
Einmischung ins Leben gewährt wird. Wie sie auch zu Tode gekommen sein
mögen, die Toten werden in angemessener Kürze der Zeit an den ihnen
bestimmten Ort verbracht, auf eine Bahre in der Leichenhalle eines
Krankenhauses, in den Einbalsamierungsraum des Bestatters, auf den
Tisch des Pathologen. Der Arzt kommt vielleicht nicht immer, wenn er
gerufen wird; der Bestatter kommt immer. Mahlzeiten, so karg oder
unkonventionell sie sein mögen, werden zubereitet und gegessen, die
Post kommt, Telefone klingeln, Rechnungen müssen bezahlt, Formulare
ausgefüllt werden. Diejenigen, die trauern, so wie sie damals getrauert
hatte, bewegen sich wie Automaten in einer Schattenwelt, in der nichts
echt oder vertraut ist, und es scheint, dass es auch so bleiben wird.
Doch selbst die Trauernden sprechen, versuchen zu schlafen, führen
geschmackloses Essen zum Mund, spielen mechanisch die ihnen zugewiesene
Rolle in einem Drama, in dem alle anderen Mitspieler mit ihren Rollen
vertraut zu sein scheinen.
Im Manor gab niemand vor, um Rhoda Gradwyn zu trauern. Ihr Tod
war ein Schock, den die dadurch hervorgerufene Angst und das Geheimnis,
das ihn umgab, noch verstärkte, aber im Manor lief alles routinemäßig
weiter. Dean kochte weiter seine ausgezeichneten Mahlzeiten, auch wenn
eine gewisse Einfachheit bei den Speisen darauf schließen ließ, dass er
dem Tode vielleicht doch unbewusst Tribut zollte. Kim brachte sie
weiter auf den Tisch, obwohl es von grober Gefühllosigkeit zeugte, wenn
man Appetit entwickelte und mit sichtlicher Freude aß. Auch
Tischgespräche waren fehl am Platz. Nur das Kommen und Gehen der
Polizei, die Autos des Wachdienstes und der Wohnwagen vor dem
Haupteingang, in dem sie aßen und schliefen, erinnerten unablässig
daran, dass nichts normal war. Als Sharon von Inspector Miskin zum
Verhör in die Alte Wache geführt worden war, hatte das allgemeines
Interesse und bei manchem auch verschämte Hoffnung geweckt. Sie war
zurückgekehrt, um kurz bekanntzugeben, dass sie auf Veranlassung von
Commander Dalgliesh das Manor verlassen und in drei Tagen von einer
Freundin abgeholt werde. Sie habe nicht vor, bis dahin noch zu
arbeiten. Was sie betraf, so betrachte sie ihre Tätigkeit hier als
beendet, und sie wüssten ja, wohin sie sich selbige schieben konnten.
Sie sei müde und genervt und könne es kaum erwarten, endlich von diesem
scheißverdammten Manor wegzukommen. Und nun wolle sie auf ihr Zimmer.
Von Sharon hatte man noch nie ein obszönes Wort gehört, daher war
dieser Auftritt ebenso schockierend, als wäre er von Lettie gekommen.
Commander Dalgliesh hatte mit George Chandler-Powell eine
halbe Stunde unter vier Augen gesprochen, und nachdem er gegangen war,
hatte George alle in die Bibliothek gebeten. Sie hatten sich schweigend
versammelt, und alle ahnten, dass eine bedeutsame Mitteilung auf sie
wartete. Sharon war nicht verhaftet worden, so viel stand zweifelsfrei
fest. Aber vielleicht hatte es neue Entwicklungen gegeben, und selbst
unwillkommene Neuigkeiten waren besser als diese andauernde
Ungewissheit. Sie alle, so viel vertrauten sie einander manchmal an,
befanden sich in einer Warteschleife. Selbst die einfachsten
Entscheidungen – was sie morgens anziehen sollten, welche
Anweisungen sie Dean und Kimberley geben sollten – erforderten
Willensanstrengung. Chandler-Powell ließ sie nicht warten, aber er
machte auf Lettie einen ungewöhnlich angespannten Eindruck. Als er die
Bibliothek betrat, schien er unentschlossen zu sein, ob er stehen
bleiben oder sich setzen sollte, aber nach einem kurzen Zögern stellte
er sich neben den Kamin. Ihm musste klar sein, dass auch er, wie alle
anderen im Hause, zu den Verdächtigen zählte, aber als nun alle Blicke
erwartungsvoll auf ihm ruhten, wirkte er eher wie ein Stellvertreter
von Commander Dalgliesh, eine Rolle, die er nicht wollte und in der er
sich auch nicht wohl fühlte.
»Es tut mir leid, dass Sie Ihre jeweilige Tätigkeit
unterbrechen mussten«, begann er, »aber Commander Dalgliesh hat mich
gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Es erschien mir vernünftig,
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