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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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regelmäßiger. Sie
hörte den Deckel zuklappen, leise, beinahe sanft, als fürchtete
Candace, den Toten zu wecken. Sie schaute zu ihr hinüber. Candace stand
reglos an die Gefriertruhe gelehnt. Dann begann sie plötzlich zu
würgen, rannte zur Spüle und übergab sich heftig, wobei sie sich
seitlich am Becken abstützte. Sie würgte noch eine Weile, als schon
längst nichts mehr hochkam, laute, keuchende Schreie, die ihr die Kehle
zerreißen mussten. Lettie sah nur zu. Sie hätte gerne geholfen, wusste
aber, dass Candace nicht berührt werden wollte. Dann drehte Candace den
Wasserhahn voll auf und spritzte sich das Gesicht ab, als würde die
Haut in Flammen stehen. Wasser lief ihr über die Jacke, und nasse
Haarsträhnen klebten ihr an der Wange. Ohne ein Wort streckte sie die
Hand nach einem Geschirrtuch aus, das an einem Nagel neben der Spüle
ging, wrang es unter dem noch laufenden Wasserhahn aus und wusch sich
das Gesicht. Lettie fand endlich die Kraft, aufzustehen. Sie legte
Candace einen Arm um die Taille und führte sie zu dem zweiten Stuhl.
    »Tut mir leid«, sagte Candace, »es war der Gestank. Diesen
Geruch konnte ich noch nie ertragen.«
    Das Entsetzen über diesen einsamen Tod brannte noch in ihrem
Hirn. Lettie empfand plötzlich starkes Mitleid und wollte ihn
verteidigen. »Das ist nicht der Geruch des Todes, Candace. Er konnte
nichts dafür. Es ist ihm passiert, vielleicht vor Angst. So etwas gibt
es.«
    Ohne es laut auszusprechen, dachte sie bei sich: Das
muss doch bedeuten, dass er noch gelebt hat, als er in die Gefriertruhe
kam. Oder nicht? Die Rechtsmedizinerin wird das wissen.
    Nun, da ihre körperliche Kraft wieder zurückgekehrt war,
konnte sie außergewöhnlich klar denken. »Wir müssen die Polizei
anrufen. Commander Dalgliesh hat uns doch eine Nummer gegeben. Wissen
Sie die noch?« Candace schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht. Ich dachte
nicht, dass wir sie jemals brauchen würden. Er und dieser andere
Polizist sind ja immer hier rumgelaufen. Ich gehe ihn holen.«
    Doch Candace, die den Kopf zurückgelehnt hatte und deren
Gesicht so weiß leuchtete, als wäre sie bar jeden Gefühls, bar von
allem, was sie einzigartig machte, nichts als eine Maske aus Fleisch
und Knochen, sagte: »Nein! Gehen Sie nicht. Ich fühle mich besser, aber
lassen Sie mich jetzt nicht allein. Mein Handy steckt in meiner Tasche.
Rufen Sie im Manor an. Versuchen Sie es erst im Büro und dann bei
George. Er soll Dalgliesh anrufen. Aber er soll nicht selber kommen.
Keiner von ihnen soll kommen. Ich könnte es jetzt nicht ertragen, wenn
sich ein Menschenauflauf bildet, mit all den Fragen, der Neugier, dem
Mitleid. Das kommt noch früh genug.«
    Lettie rief im Büro an. Als niemand abnahm, versuchte sie es
mit Georges Nummer. Während sie lauschte und auf Antwort wartete, sagte
sie: »Er wird selber wissen, dass er nicht herkommen darf. Das Cottage
wird zum Tatort erklärt.«
    Candace fragte mit schriller Stimme: »Wieso Tatort?«
    Es meldete sich immer noch niemand an Georges Telefon.
»Vielleicht ist es Selbstmord«, sagte Lettie. »Ist Selbstmord denn kein
Verbrechen?«
    »Finden Sie etwa, dass es nach Selbstmord aussieht? Finden Sie
das?«
    Entsetzt fragte sich Lettie: Worüber streiten wir
hier eigentlich? Aber sie sagte ruhig: »Sie haben recht. Wir
wissen nichts. Aber Commander Dalgliesh kann sicher keinen Auflauf
gebrauchen. Wir bleiben hier und warten.«
    Endlich hörte sie Georges Stimme. »Ich rufe vom Stone Cottage
aus an«, sagte Lettie. »Candace ist hier bei mir. Wir haben Robin
Boytons Leiche in der alten Gefriertruhe gefunden. Könnten Sie
Commander Dalgliesh so schnell wie möglich rüberschicken? Am besten,
Sie sagen zu niemandem etwas, bevor er nicht hier ist. Und bleiben Sie
im Manor. Lassen Sie niemanden herkommen.«
    Georges Stimme klang schrill: »Boytons Leiche? Sind Sie
sicher, dass er tot ist?«
    »Ganz sicher. Ich kann das jetzt nicht erklären, George. Holen
Sie Dalgliesh. Nein, uns fehlt nichts. Wir stehen unter Schock, aber
uns fehlt nichts.«
    »Ich rufe Dalgliesh an.« Er beendete das Gespräch.
    Keine von beiden sagte etwas. In der Stille vernahm Lettie nur
ihre eigenen tiefen Atemzüge. Sie saßen schweigend auf den beiden
Küchenstühlen. Zeit verging, unermesslich viel Zeit. Dann sahen sie
Gesichter vor den Fenstern. Die Polizei war da. Lettie hätte gedacht,
sie würden einfach hereinkommen, aber es klopfte an der Tür. Sie warf
einen kurzen Blick auf das starre Gesicht von Candace,

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