Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
unerbittlichen
Ticken die Gegenwart in die Vergangenheit. Der Raum hatte nichts
Gemütliches, bis auf eine Holzbank mit Kissen rechts vom Kamin. An
einer Wand reichten die Bücherregale bis zur Decke, aber die meisten
Fächer waren leer, und die noch verbliebenen Bücher lehnten
unordentlich aneinander. An der gegenüberliegenden Wand stapelten sich
gut zehn Bücherkartons. Nicht verblichene Rechtecke auf der Tapete
zeigten, wo einmal Bilder gehangen hatten. Das ganze Cottage war zwar
sehr sauber, aber Lettie kam es beinahe absichtlich freudlos und
uneinladend vor, als hätten Candace und Marcus nach dem Tode ihres
Vaters betonen wollen, dass ihnen das Stone Cottage niemals ein Heim
sein konnte.
Mit Lettie im Gefolge ging Candace oben mit festen Schritten
durch die drei Schlafzimmer, warf einen kurzen Blick in Schränke und
Kommoden und schlug die Türen zu, als wäre die Suche eine lästige
Routinearbeit. Es roch leicht, aber doch stechend nach Mottenkugeln,
nach ländlicher alter Tweedbekleidung, und aus Candace' Schrank blitzte
Lettie das Scharlachrot eines akademischen Talars entgegen. Das vordere
Zimmer hatte ihr Vater bewohnt. Bis auf das schmale Bett rechts vom
Fenster war hier bereits alles ausgeräumt worden. Es war abgezogen, nur
ein einziges Laken war straff und makellos über die Matratze gespannt,
die universelle häusliche Referenz vor der Endgültigkeit des Todes.
Keine von beiden sagte etwas. Die Suche war beinahe zu Ende. Sie gingen
nach unten, und ihre Schritte hallten unnatürlich laut auf den Stufen,
die nicht mit einem Teppich belegt waren.
Im Wohnzimmer gab es keine Schränke, und so gingen sie wieder
in die alte Speisekammer. Candace wurde plötzlich bewusst, was Lettie
schon die ganze Zeit empfunden hatte. »Was tun wir hier bloß? Das ist
ja beinahe, als würden wir nach einem Kind oder einem verirrten Tier
suchen. Wenn sie Befürchtungen haben, soll doch die Polizei
weitersuchen.«
»Aber wir sind schon fast fertig, und wir waren zumindest
gründlich«, sagte Lettie. »Er ist weder in einem der Cottages noch in
einem der Schuppen.«
Candace war in den Vorratsraum gegangen. Ihre Stimme klang
gedämpft. »Es wird Zeit, dass ich hier ausräume. Als Vater krank war,
habe ich wie eine Besessene Marmelade gekocht. Gott weiß, warum. Er
mochte selbstgemachte Marmelade, aber so sehr nun auch wieder nicht.
Ich hatte ganz vergessen, dass die Gläser immer noch hier stehen. Am
besten lasse ich sie von Dean abholen. Er wird schon eine Verwendung
dafür finden, wenn er sich herablässt, sie zu nehmen. Meine Marmelade
entspricht kaum seinen Maßstäben.«
Sie kam wieder heraus. Lettie wandte sich um, um ihr zur Tür
zu folgen, blieb stehen und öffnete den Deckel der Gefriertruhe. Sie
tat das ganz spontan und ohne nachzudenken. Die Zeit blieb stehen. Ein
paar Sekunden, die sich im Rückblick zu Minuten ausdehnten, starrte sie
auf das, was dort unten lag.
Mit einem leisen Scheppern fiel ihr der Deckel aus der Hand,
und sie sank über der Gefriertruhe zusammen und zitterte
unkontrollierbar. Ihr Herz hämmerte, und etwas war mit ihrer Stimme
passiert. Sie schnappte nach Luft und versuchte, Wörter zu bilden, aber
sie brachte keinen Ton hervor. Schließlich fand sie unter größter
Anstrengung eine Stimme, aber sie klang nicht wie ihre, nicht einmal
wie eine bekannte Stimme. »Candace«, krächzte sie, »sehen Sie nicht
her! Bleiben Sie dort!«
Doch Candace schob sie zur Seite und drückte den Deckel gegen
Letties Gewicht nach oben.
Er lag zusammengerollt auf dem Rücken, beide Beine ragten
steif nach oben. Er musste mit den Füßen gegen den Deckel der
Gefriertruhe gedrückt haben. Die beiden Hände, zart und weiß wie die
eines Kindes, waren wie Klauen zusammengekrallt. In seiner Verzweiflung
hatte er gegen den Deckel geschlagen, die Fingerknöchel waren blau,
Spuren getrockneten Bluts klebten an den Fingern. Sein Gesicht war eine
Fratze des Schreckens, die blauen Augen waren weit aufgerissen und
leblos wie die einer Puppe, die Lippen waren zurückgezogen. Er musste
sich in einem letzten Krampf auf die Zunge gebissen haben, denn zwei
Blutrinnsale waren ihm auf dem Kinn getrocknet. Er trug Jeans und ein
blau-beige kariertes, oben offenes Hemd. Der Geruch, so widerwärtig wie
vertraut, stieg auf wie ein Gas.
Lettie fand irgendwie die Kraft, sich zu einem Küchenstuhl zu
schleppen, und brach dort zusammen. Als sie nun saß, kehrte ihre Kraft
zurück, der Herzschlag verlangsamte sich und wurde
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