Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Küche zu
urteilen, können wir getrost davon ausgehen, dass Robin extrem
unordentlich war, und das ist mir nichts Neues. Jedenfalls ist er nicht
hier im Cottage.«
»Nein, hier ist er nicht.« Lettie wandte sich zur Tür. Und
doch war er irgendwie anwesend, dachte sie. Während der halben Minute,
in der sie mit Candace das Badezimmer begutachtet hatte, war ihre
düstere Vorahnung zu einer irritierenden Mischung aus Angst und Mitleid
geworden. Robin Boyton war nicht hier, aber auf paradoxe Weise schien
er präsenter zu sein als noch vor drei Tagen bei seinem Auftritt in der
Bibliothek. Er war hier in diesem Durcheinander jugendlicher Kleidung,
in den Schuhen, von denen ein Paar ganz abgetreten war, in dem achtlos
hingeworfenen Buch, dem zerknitterten T-Shirt.
Sie gingen weiter in den Garten, Candace voran. Lettie war
zwar für gewöhnlich ebenso energiegeladen wie ihre Begleiterin, aber
nun hatte sie das Gefühl, sie würde wie eine schwere Last
hinterhergezogen. Sie durchsuchten die Gärten beider Cottages mitsamt
den zugehörigen Holzschuppen. Der Schuppen des Rose Cottage enthielt
ein Sammelsurium aus schmutzigen Gartengeräten, Werkzeugen, von denen
einige verrostet waren, zerbrochenen Blumentöpfen und Baststreifen.
Alles lag wild durcheinander auf einem Regal, während die Tür wegen
eines alten Rasenmähers und eines Netzes mit Anschürholz nicht ganz
aufging. Candace schloss kommentarlos die Tür. Dagegen war der Schuppen
des Stone Cottage vorbildlich aufgeräumt. Alles war einer Logik folgend
geordnet. Spaten, Mistgabeln und Schläuche, deren Metallteile glänzten,
waren an der Wand arrangiert, und am Rasenmäher klebte nichts mehr, was
von seiner Funktion zeugen könnte. Es gab einen bequemen Korbsessel mit
kariertem Kissen, der offenbar gerne benutzt wurde. Der Kontrast
zwischen den beiden Schuppen spiegelte sich in den Gärten wider. Mog
war verantwortlich für den Garten im Rose Cottage, aber sein
Hauptinteresse galt dem Garten des Manor, insbesondere dem
Boskettgarten, auf den er über alle Maßen stolz war und den er mit
Sorgfalt, ja Besessenheit trimmte. Im Rose Cottage machte er wenig mehr
als nötig war, um nicht gerügt zu werden. Der Garten des Stone Cottage
zeugte von Sachkenntnis und regelmäßiger Zuwendung. Welkes Laub war
zusammengeharkt und in den hölzernen Kompostbehälter gegeben worden,
die Sträucher waren beschnitten, die Erde umgegraben und empfindliche
Pflanzen vor dem Frost geschützt worden. Als sie an den Rohrsessel mit
dem zugehörigen Kissen dachte, empfand Lettie unwillkürlich Mitleid und
Wut. Diese hermetische Hütte, in der die Luft selbst im Winter warm
war, wurde also nicht nur als Gartenschuppen genutzt, sondern diente
gleichzeitig als Rückzugsort. Hier konnte Candace gelegentlich auf eine
halbe Stunde des Friedens und der Ruhe abseits von dem aseptischen
Geruch des Krankenzimmers hoffen, konnte in den kurzen Momenten der
Freiheit in den Garten entfliehen, wenn sie keine Zeit für ihre andere
Leidenschaft fand, nämlich in einer ihrer Lieblingsbuchten oder an
einem Strand schwimmen zu gehen.
Kommentarlos schloss Candace die Tür vor dem Geruch von warmem
Holz und Erde, und sie machten sich auf den Weg zum Stone Cottage. Der
Tag war trist und düster, obwohl noch nicht einmal Mittag war, und
Candace schaltete das Licht an. Lettie war seit Professor Westhalls Tod
mehrfach im Cottage gewesen, aber stets in einer Angelegenheit, die das
Manor betraf, und niemals gerne. Sie war nicht abergläubisch. Ihr
Glaube war unkonventionell und undogmatisch und bot keinen Platz für
körperlose Seelen, die Räume besuchten, in denen sie noch etwas zu
erledigen oder ihren letzten Atemzug getan hatten. Aber sie war
sensibel für die Atmosphäre, und das Stone Cottage rief immer noch ein
Unbehagen in ihr hervor, eine düstere Stimmung, als hätte das
akkumulierte Unglück die Luft vergiftet.
Sie befanden sich in dem steingefliesten Raum, der als die
alte Speisekammer bezeichnet wurde. Ein schmaler Wintergarten führte
hinaus in den Garten, aber das Zimmer war so gut wie unbenutzt und
schien einzig und allein als Aufbewahrungsort für unbenutzte Möbel zu
dienen. Es gab einen kleinen Holztisch mit zwei Stühlen, eine klapprig
aussehende Gefriertruhe und eine alte Anrichte mit einem Sammelsurium
von Bechern und Krügen. Durch eine kleine Küche gingen sie ins
Wohnzimmer, in dem auch gegessen wurde. Der Kamin war leer, und eine
Uhr auf dem ansonsten leeren Sims verwandelte mit ihrem
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