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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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weshalb Lettie den Deckel der Gefriertruhe angehoben hatte. Da
diese Frage letztlich irgendwann gestellt würde, hatte Lettie zunehmend
das Gefühl, sie sollte ihr Schweigen brechen, trotz der Vereinbarung
zwischen ihr und Candace.
    Es wurde schon bald ein Uhr, aber es gab noch nichts Neues von
Commander Dalgliesh und seinem Team. Nur vier Mitglieder des Haushalts
setzten sich zum Mittagessen in das Speisezimmer, Mr. Chandler-Powell,
Helena, Flavia und Lettie. Candace hatte darum gebeten, dass ihr und
Marcus das Essen auf einem Tablett ins Zimmer gebracht wurde. An
Operationstagen aß Chandler-Powell mit seinem Team später zu Mittag,
wenn er überhaupt eine richtige Mahlzeit zu sich nahm, aber an Tagen
wie diesem speiste er mit den anderen im Esszimmer. Eigentlich fand
Lettie es nicht richtig, dass nicht alle gemeinsam aßen, aber sie
wusste, Dean würde es als Koch erniedrigend empfinden, mit den Leuten
essen zu müssen, für die er kochte. Er und Kim aßen später mit Sharon
in ihrer eigenen Wohnung.
    Es gab ein einfaches Menü, Minestrone als Vorspeise,
Schweinefleisch-Enten-Terrine, Ofenkartoffeln und einen Wintersalat als
Hauptgang. Als Flavia, die sich gerade vom Salat nahm, die Frage in den
Raum stellte, ob jemand wisse, wann mit dem Erscheinen der Polizei zu
rechnen sei, antwortete Lettie mit einer, wie sie fand, unnatürlichen
Unbekümmertheit.
    »Das haben sie nicht gesagt, als wir im Stone Cottage waren.
Ich schätze, sie sind fleißig dabei, die Gefriertruhe zu untersuchen.
Womöglich nehmen sie sie mit. Ich kann mir nicht erklären, warum ich
den Deckel aufgeklappt habe. Das ist beim Hinausgehen passiert, eine
impulsive Geste, vielleicht aus reiner Neugier.«
    »Es ist nur gut, dass Sie das gemacht haben«, sagte Flavia.
»Er hätte noch tagelang dort liegen können, während die Polizei die
Gegend absucht. Schließlich hätten sie die Gefriertruhe nur geöffnet,
wenn sie einen Verdacht gehabt hätten! Sonst wäre niemand auf die Idee
gekommen.«
    Mr. Chandler-Powell runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
Alle schwiegen, bis Sharon hereinkam, um die Suppenteller abzutragen.
Das ungewohnte Nichtstun hatte sie letztlich doch gelangweilt, und sie
hatte sich herabgelassen, eine begrenzte Anzahl von Aufgaben im
Haushalt zu übernehmen. An der Tür drehte sie sich um und sagte mit für
sie unüblicher Munterkeit: »Vielleicht treibt sich ja ein Serienmörder
hier im Dorf herum und pickt sich einen nach dem anderen von uns
heraus. Ich hab mal ein Buch von Agatha Christie gelesen, da geht es
genau darum. Sie saßen alle auf so einer Insel fest, und einer von
ihnen war der Serienmörder. Am Ende blieb nur einer übrig.«
    Flavia wies sie zurecht. »Das ist doch Unsinn, Sharon. Hat der
Tod von Miss Gradwyn etwa ausgesehen wie das Werk eines Serienmörders?
Die töten nach einem Muster. Und weshalb sollte ein Massenmörder eine
Leiche in eine Gefriertruhe stecken? Aber vielleicht ist Ihr
Serienmörder ja von Gefriertruhen besessen und gerade jetzt auf der
Suche nach einer neuen, wo er sein nächstes Opfer unterbringen kann.«
    Sharon machte den Mund auf, um etwas zu entgegnen, doch
Chandler-Powell warf ihr einen strengen Blick zu, und so überlegte sie
es sich anders und stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich zu. Niemand
sagte etwas. Lettie spürte, dass Sharons Kommentar ziemlich unbedacht
gewirkt hatte, der von Flavia war jedoch auch nicht viel besser
gewesen. Mord war ein Verbrechen, das wirkte wie eine Seuche, es
veränderte Beziehungen auf subtile Weise, die, wenn nicht eng, so doch
zumindest unkompliziert und unbelastet gewesen waren, wie die zu
Candace und nun auch die zu Flavia. Es war keine Frage des
ausdrücklichen Misstrauens, eher breitete sich eine Atmosphäre des
Unbehagens aus, das zunehmende Bewusstsein, dass man andere Menschen
nicht kennen konnte, nicht wissen konnte, was in ihren Köpfen vorging.
Aber Lettie machte sich um Flavia Sorgen. Da sie ihr Wohnzimmer im
Westflügel nicht betreten durfte, war sie dazu übergegangen, allein
durch den Garten zu spazieren oder über die Lindenallee bis zum
Steinkreis zu laufen. Wenn sie zurückkehrte, waren ihre Augen so rot
und geschwollen, wie es kein scharfer Wind oder plötzlicher Regen
verursachen konnte. Vielleicht war es gar nicht so außergewöhnlich,
dachte Lettie, dass Miss Gradwyns Tod Flavia mehr zugesetzt zu haben
schien als anderen. Mr. Chandler-Powell und sie hatten eine Patientin
verloren. Beruflich war das für sie beide eine Katastrophe.

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