Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Schrift ist so markant, dass eine Fälschung über eine
derart lange Strecke so gut wie sicher auffallen würde. Aber was ist
mit den drei Unterschriften? Ich habe heute mit einem Mitarbeiter der
Anwaltskanzlei telefoniert, die Peregrine Westhall vertrat, und ihn ein
paar Dinge zum Testament gefragt. Eine der Unterzeichneten, Elizabeth
Barnes, eine ältere Hausangestellte, die lange im Manor gearbeitet
hatte, ist verstorben. Die andere ist Grace Holmes, die im Dorf ein
Einsiedlerleben geführt hat und mittlerweile zu einer Nichte nach
Toronto gezogen ist.«
»Boyton kommt letzten Donnerstag an und versucht, Grace
Holmes' Adresse in Toronto herauszufinden, indem er am Rosemary Cottage
vorbeischaut«, sagte Benton. »Und nach seinem ersten Besuch wusste
Candace Westhall, dass er, so lächerlich sein erster Verdacht gewesen
sein mochte, sich nun auf das Testament konzentriert. Mog hat uns von
Boytons Besuch im Rosemary Cottage erzählt. Hat es das alte Klatschmaul
auch Candace verraten? Sie fliegt angeblich nach Toronto, um Miss
Holmes einen Anteil der Hinterlassenschaft von Professor Westhall zu
überbringen, nichts, was man nicht leicht per Post, Telefon oder E-Mail
hätte erledigen können. Und warum hat sie bis jetzt gewartet, um sie
für ihre Dienste zu belohnen? Warum war es so wichtig, Grace Holmes
persönlich zu treffen?«
»Wenn wir eine Urkundenfälschung in Betracht ziehen«, sagte
Kate, »dann wäre das durchaus ein starkes Motiv. Kleinere Fehler in
einem Testament können bereinigt werden, glaube ich. Und ein
Vermächtnis kann geändert werden, wenn sich alle Testamentsvollstrecker
einig sind, nicht wahr? Aber Urkundenfälschung ist eine strafbare
Handlung. Candace Westhall konnte es nicht riskieren, die Reputation
ihres Bruders sowie sein Erbe zu gefährden. Doch wenn Grace Holmes für
ihr Schweigen Geld von Candace Westhall angenommen hat, dann bezweifle
ich, dass man jetzt noch die Wahrheit aus ihr herausbekommt. Weshalb
sollte sie reden? Vielleicht hat der Professor ständig Testamente
geschrieben und dann wieder seine Meinung geändert. Sie muss nur sagen,
sie hätte mehrfach handgeschriebene Testamente bezeugt und könne sich
an kein Bestimmtes erinnern. Sie hat bei der Pflege des alten
Professors geholfen. Diese Jahre können für die Westhalls nicht einfach
gewesen sein. Wahrscheinlich hält sie es moralisch für rechtens, wenn
die Geschwister das Geld erben.« Sie sah Dalgliesh an. »Wissen wir, was
das vorangegangene Testament festgelegt hat, Sir?«
»Danach habe ich die Anwälte gefragt. Die gesamte Erbmasse war
in zwei Teile aufgeteilt. Robin Boyton sollte die eine Hälfte bekommen,
in Anerkennung der Tatsache, dass seine Eltern und er von der Familie
ungerecht behandelt wurden; die andere Hälfte sollten Marcus und
Candace zu gleichen Teilen erhalten.«
»Und das wusste er, Sir?«
»Daran zweifle ich sehr. Ich hoffe, am Freitag erfahre ich
mehr. Ich habe einen Termin bei Philip Kershaw, dem Anwalt, der mit
diesem Testament und dem letzten betraut war. Er ist krank und lebt in
einem Altenpflegeheim außerhalb von Bournemouth, aber er hat einem
Treffen zugestimmt.«
»Das wäre ein handfestes Motiv, Sir«, sagte Kate. »Denken Sie
daran, sie festzunehmen?«
»Nein, Kate. Morgen werde ich ein formelles Verhör
durchführen, das auch mitgeschnitten wird. Trotzdem, einfach wird das
nicht. Es wäre unklug, wenn nicht gar kontraproduktiv, diese neuen
Verdachtsmomente preiszugeben, ohne dass wir noch weitere zwingende
Beweise hätten. Wir haben lediglich Coxons Aussage, dass Boyton nach
seinem ersten Besuch niedergeschlagen war und vor dem nächsten in
Hochstimmung. Und seine SMS an Rhoda Gradwyn könnte alles Mögliche
bedeuten. Er war offenbar ein recht impulsiver junger Mann. Das haben
wir ja selbst erlebt.«
»Es sieht so aus, als würde sich etwas abzeichnen, Sir«,
meinte Benton.
»Aber ohne einen einzigen handfesten Beweis, weder für die
mögliche Urkundenfälschung noch für die Ermordung von Rhoda Gradwyn und
Robin Boyton. Und um die Sache noch komplizierter zu machen, haben wir
auch noch eine verurteilte Mörderin im Manor. Heute Abend kommen wir
jedenfalls nicht mehr weiter. Wir sind alle müde, deshalb würde ich
vorschlagen, wir beenden den Tag.«
Es war kurz vor Mitternacht, aber Dalgliesh legte noch einmal
Feuerholz nach. Es hätte keinen Sinn, ins Bett zu gehen, solange sein
Geist noch so aktiv war. Candace Westhall hatte sowohl die Gelegenheit
als auch die Mittel, beide
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