Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
ich konnte
ihren Stil zweifelsfrei erkennen, ich wusste, wie sie mit ihren
Verlagen umgehen wollte, und ich konnte im Voraus sagen, wie sie auf
bestimmte Angebote reagieren würde. Ich habe sie respektiert und
gemocht, und war froh, sie unter Vertrag haben zu dürfen. Zweimal im
Jahr haben wir zusammen zu Mittag gegessen, meistens um über
literarische Fragen zu sprechen. Darüber hinaus kann ich nicht
behaupten, sie gekannt zu haben.«
»Sie wurde uns als sehr zurückgezogener Mensch beschrieben«,
sagte Kate.
»O ja, das war sie. Wenn ich so über sie nachdenke –
und das habe ich natürlich getan, seit ich das erfahren
habe –, habe ich den Eindruck, als wäre sie wie jemand
gewesen, den ein Geheimnis belastete, das sie nicht preisgeben durfte
und sie daran hinderte, mit anderen Menschen vertraut zu werden. Nach
zwanzig Jahren kannte ich sie kaum besser als damals, als sie ganz neu
zu mir kam.«
Benton, der Interesse an der Einrichtung des Büros zeigte,
insbesondere an den Schriftstellerporträts an der Wand, fragte: »Ist
das nicht ungewöhnlich für das Verhältnis zwischen Agent und Autor? Ich
habe immer geglaubt, dass diese Beziehung besonders eng sein muss, um
erfolgreich zu sein.«
»Nicht unbedingt. Man muss sich mögen und einander vertrauen,
und man sollte sich über die wichtigen Dinge einig sein. Die Menschen
sind unterschiedlich. Manche meiner Autoren sind zu engen Freunden
geworden. Andere brauchen einen hohen Grad an persönlicher Betreuung.
Es kommt vor, dass man als mütterliche Vertraute gebraucht wird, als
Finanzberaterin, Eheberaterin, als Lektorin, Nachlassverwalterin,
gelegentlich sogar als Tagesmutter. Rhoda brauchte keine dieser
Dienstleistungen.«
»Und Ihres Wissens hatte sie auch keine Feinde?«, fragte Kate.
»Sie war investigative Journalistin. Da bleibt es nicht aus,
dass man Leuten schadet. Aber ich habe nie von ihr gehört, dass sie
sich jemals physisch bedroht gefühlt hätte. Soweit ich weiß, hat nie
jemand gedroht, ihr etwas anzutun. Ein-, zweimal wurden ihr
gerichtliche Schritte angekündigt, aber ich habe ihr damals geraten,
nicht zu reagieren, und wie erwartet wurden die Drohungen nicht wahr
gemacht. Rhoda hätte niemals etwas geschrieben, das nachweislich falsch
oder verleumderisch gewesen wäre.«
»Auch nicht der Artikel im Paternoster Review, in
dem sie Annabel Skelton des Plagiats beschuldigte?«
»Manche Leute haben diesen Artikel als Waffe benutzt, um den
modernen Journalismus im Allgemeinen zu geißeln, aber für die meisten
war es ein ernsthafter Text über ein interessantes Thema. Rhoda und ich
hatten Besuch von einer Frau, die sich beschweren wollte, einer
gewissen Candace Westhall, aber sie hat letztlich nichts unternommen.
Das konnte sie auch gar nicht. Die Abschnitte, die sie störten, waren
moderat formuliert und die Tatsachen unumstößlich. Das ist etwa fünf
Jahre her.«
»Wussten Sie, dass Miss Gradwyn beschlossen hatte, sich die
Narbe entfernen zu lassen?«, fragte Benton.
»Nein, das hat sie mir nicht gesagt. Wir haben nie über die
Narbe gesprochen.«
»Und ihre Pläne für die Zukunft? Wollte sie eine andere
Laufbahn einschlagen?«
»Darüber kann ich leider nichts sagen. Es war jedenfalls
nichts beschlossen. Sie war wohl noch dabei, ihre Pläne zu
konkretisieren. Als sie noch am Leben war, hätte sie nicht gewollt,
dass ich mit irgendjemandem außer ihr selbst darüber spreche, und Sie
werden Verständnis haben, dass ich das auch nach ihrem Tod so halte.
Ich kann Ihnen nur versichern, dass ihre Zukunftspläne sicher nicht mit
ihrem Tod zusammenhängen.«
Es gab nichts weiter zu sagen, und Ms. Melbury ließ bereits
durchblicken, dass sie noch zu tun hatte.
Beim Hinausgehen fragte Kate: »Weshalb die Frage nach ihren
Zukunftsplänen?«
»Mir ist die Idee gekommen, dass sie vielleicht eine
Biographie schreiben wollte. Wenn es um eine noch lebende Person ging,
hatte die vielleicht ein Motiv, das Projekt zu stoppen, bevor Rhoda
Gradwyn überhaupt damit angefangen hat.«
»Möglich. Aber solange Sie nicht behaupten wollen, dass diese
hypothetische Person herausgefunden hat, was nicht einmal Ms. Melbury
wusste – nämlich dass sich Miss Gradwyn im Manor
aufhielt –, und dass sie das Opfer oder jemand anderen
überredet hat, sie hineinzulassen, helfen uns Miss Gradwyns
Zukunftspläne nicht weiter.«
Beim Anschnallen sagte Benton: »Mir war sie sympathisch.«
»Dann wissen Sie ja, an wen Sie sich wenden müssen, wenn Sie
Ihren ersten
Weitere Kostenlose Bücher