Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
um ihn hinten im Auto allein zu lassen.
Benton nahm die Taschenlampe heraus und gab die Richtung an.
Der Petroleumgestank von Dalglieshs Kleidung und Händen breitete sich
im Auto aus. Er ließ das Fenster herunter und atmete tief die kalte,
süße Nachtluft ein. Die schmalen Landstraßen zogen sich vor ihnen über
die Hügel. Zu beiden Seiten erstreckte sich Dorset, die Täler und
Erhebungen, die kleinen Dörfer, die steinernen Cottages. Mitten in der
Nacht herrschte kaum Verkehr. Alle Häuser waren dunkel.
Und dann spürte er die Veränderung in der Luft, es roch
anders, frischer, es war mehr ein Gefühl als ein Geruch, und doch
unverwechselbar: der Salzgeruch des Meeres. Die Straße wurde schmaler,
als sie durch das stille Dorf hinunter zum Hafen von Kimmeridge Bay
fuhren. Vor ihnen unter dem Sternenhimmel glänzte das Meer im
Mondlicht. Immer wenn Dalgliesh in die Nähe des Meeres kam, fühlte er
sich davon angezogen wie das Tier vom Wasserloch. Seit der Mensch zum
ersten Mal aufrecht an einem Ufer stand, rührte seine uralte Klage,
unermüdlich, blind, gleichgültig, durch all die Jahrhunderte hindurch
an eine Unzahl von Gefühlen und erinnerte nicht zuletzt, so wie in
diesem Moment, an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Sie
liefen in östlicher Richtung auf den Strand zu, unter dem schwarz
aufragenden Schieferfelsen, der sich dunkel wie Kohle erhob und an
dessen Fuß Büschel von Gras und Sträuchern wuchsen. Die schwarzen
Schieferplatten fielen zum Meer hin ab und bildeten einen Pfad aus
wasserüberspülten Felsen. Die Wellen begruben sie unter sich und zogen
sich zischend wieder zurück. Im Mondlicht glänzten sie wie poliertes
Ebenholz.
Mit Hilfe ihrer Taschenlampen stapften sie voran, leuchteten
den Strand und den Damm aus schwarzem Schiefer ab. Marcus Westhall, der
während der Fahrt ganz still gewesen war, schien zu neuem Leben erwacht
zu sein. Er arbeitete sich unermüdlich weiter durch die Kiesel am Rand
des Wassers. Nachdem sie eine Felsspitze umrundet hatten, standen sie
vor dem nächsten schmalen Strand und noch mehr schwarzen, zerklüfteten
Felsen. Sie fanden nichts.
Nun konnten sie nicht mehr weiter. Am Ende des Strandstücks
reichten die Felsen bis ins Wasser und blockierten ihnen den Weg.
»Sie ist nicht hier«, sagte Dalgliesh. »Versuchen wir es an
dem anderen Strand.«
Westhall erhob die Stimme gegen das rhythmische Rollen des
Meeres. Heiser rief er: »Dort geht sie nicht schwimmen. Sie würde
hierherkommen. Sie ist irgendwo da draußen.«
»Dann suchen wir bei Tageslicht weiter. Wir sollten hier einen
Schlusspunkt setzen«, sagte Dalgliesh ruhig.
Aber Westhall kletterte weiter über die Felsen, bis er
gefährlich balancierend die Kante erreichte, an der sich die Wellen
brachen. Dort blieb er stehen. Seine Silhouette hob sich vom Horizont
ab. Dalgliesh und Benton warfen sich rasch einen Blick zu und sprangen
vorsichtig über die von den Wellen überspülten Felsen zu Westhall hin.
Westhall wandte sich nicht um. Unter dem marmorierten Himmel, an dem
die niedrig hängenden Wolken das helle Licht der Sterne und des Mondes
verdunkelten, erschien Dalgliesh das Meer wie ein gewaltiger Bottich
schmutzigen Badewassers, dessen wogende Seifenlauge schäumend in die
Felsspalten hineintrieb. Die Flut drückte herein. Westhalls Hose war
schon ganz nass, und als Dalgliesh bei ihm angelangt war, brach sich an
den Beinen der starr dastehenden Gestalt plötzlich eine Welle und
spülte sie beide beinahe vom Felsen. Dalgliesh packte ihn am Arm und
stützte ihn. Leise sagte er: »Kommen Sie. Sie ist nicht hier. Sie
können nichts tun.«
Widerspruchslos ließ sich Westhall über die rutschigen
Schieferfelsen helfen und sanft ins Auto befördern.
Auf halbem Weg zum Manor knisterte das Funkgerät. Es war DC
Warren. »Wir haben das Auto gefunden, Sir. Sie ist nur bis Baggot's
Wood gefahren, nicht einmal einen Kilometer vom Manor entfernt. Wir
durchsuchen den Wald.«
»War das Auto offen?«
»Nein, Sir, es war abgeschlossen. Und im Inneren ist nichts zu
sehen.«
»In Ordnung. Machen Sie weiter, ich bin bald da.«
Auf diese Suche freute er sich nicht. Da Candace das Auto
abgestellt und nicht die Abgase ins Auto geleitet hatte, um sich zu
vergiften, bestand die Möglichkeit, dass sie sich erhängen wollte. Das
Erhängen hatte ihn schon immer mit Grauen erfüllt, nicht nur, weil es
lange die britische Hinrichtungsmethode gewesen war. Man konnte dabei
noch so schonend vorgehen, das Aufhängen
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