Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
vergossen worden, etwas,
das dort nicht hingehörte. Irritiert kniete er sich hin und berührte
mit zitternden Fingern die klebrige Flüssigkeit. Dann konnte er es
riechen. Als er die Hände hob, waren sie voller Blut. Auf Knien kroch
er voran, zwang sich aufzustehen, schaffte es, den Riegel anzuheben.
Doch die Tür war verschlossen. In diesem Moment begriff er. Er hämmerte
dagegen, schluchzte, rief ihren Namen, bis er keine Kraft mehr hatte
und langsam niedersank, die roten Handflächen gegen das unnachgiebige
Holz gedrückt.
Er kniete immer noch in ihrem Blut, als ihn zwanzig Minuten
später der Suchtrupp fand.
6
K ate und Benton waren beide schon über
vierzehn Stunden im Dienst. Nachdem die Leiche schließlich
abtransportiert war, verordnete Dalgliesh ihnen zwei Stunden Ruhe. Sie
sollten zeitig zu Abend essen und dann um acht Uhr zu ihm in die Alte
Wache stoßen. Keiner brachte die zwei Stunden mit Schlaf zu. Durch das
offene Fenster in seinem Zimmer konnte Benton beobachten, wie es
draußen dunkler wurde. Er lag starr im Bett, als wären sämtliche Nerven
und Muskeln angespannt, so dass er jederzeit aufspringen könnte. Es
schien schon eine Ewigkeit her zu sein, dass sie nach Dalglieshs Anruf
das Feuer entdeckt und Sharons Schreie gehört hatten. Während des
langen Wartens auf die Pathologin, den Fotografen, den Leichenwagen,
stellten sich Erinnerungen ein, die so lebendig waren, dass er das
Gefühl hatte, sie würden ihm in den Kopf projiziert wie Dias auf eine
Leinwand: die Fürsorglichkeit, mit der Chandler-Powell und Schwester
Holland Sharon über die Steinmauer trugen und sie auf dem Weg durch die
Lindenallee stützten; Marcus, wie er allein auf der schwarzen
Schieferplatte stand und über das graue, pulsierende Meer blickte; der
Fotograf, der sich vorsichtig um die Leiche herum bewegte, um nicht in
das Blut zu treten; das Knacken der Fingergelenke, die Dr. Glenister
eines nach dem anderen brechen musste, um das Tonband aus Candace'
Griff zu lösen. Benton lag einfach nur da, ohne sich seiner Müdigkeit
bewusst zu sein, aber die Prellung an Oberarm und Schulter, die er sich
beim letzten Rammstoß gegen die Tür der Kapelle zugezogen hatte,
schmerzte noch.
Er und Dalgliesh hatten gemeinsam versucht, die Eichentür mit
der Schulter aufzudrücken, aber das Schloss wollte nicht nachgeben.
Schließlich hatte Dalgliesh gesagt: »Wir stehen uns nur gegenseitig im
Weg. Nehmen Sie Anlauf, Benton.«
Mit Bedacht hatte er einen etwa fünfzehn Meter langen Anlauf
gewählt, bei dem er nicht durch das Blut laufen musste. Beim ersten
Versuch hatte die Tür gewackelt. Beim dritten Versuch war sie
aufgesprungen und gegen die Leiche geprallt. Benton hatte Dalgliesh und
Kate den Vortritt gelassen.
Candace lag zusammengerollt da wie ein schlafendes Kind, das
Messer neben ihrer rechten Hand. Am Handgelenk war nur ein einziger
Schnitt, aber er ging tief und klaffte wie ein offener Mund. Mit der
linken Hand hielt sie eine Kassette umklammert.
Das Bild verschwand, als sein Wecker schrillte und Kate laut
an die Tür klopfte. Benton schoss hoch. Innerhalb weniger Minuten saßen
sie beide fertig angezogen unten, wo Mrs. Shepherd ihnen brutzelnde
Schweinswürstchen, weiße Bohnen in Tomatensauce und Kartoffelbrei
servierte und sich dann in der Küche zu schaffen machte. Solche
Gerichte brachte sie sonst nicht auf den Tisch, aber sie schien zu
spüren, dass die beiden jetzt deftige Hausmannskost brauchten, Futter
für die Seele. Überrascht stellten sie fest, wie hungrig sie waren. Sie
aßen gierig, fast ohne zu sprechen, und machten sich dann gemeinsam auf
den Weg zur Alten Wache.
Als sie zum Manor kamen, stellte Benton fest, dass der
Wohnwagen und die Autos des Wachdienstes nicht mehr vor dem Tor
parkten. Die Fenster waren erleuchtet wie zu einem Fest. Niemand hätte
dieses Wort benutzt, aber Benton wusste, dass allen eine große Last von
der Seele genommen worden war. Endlich mussten sie keine Angst mehr
haben, niemanden mehr verdächtigen, nicht mehr fürchten, die Wahrheit
würde niemals ans Licht kommen. Besser wäre es gewesen, sie hätten
jemanden festnehmen können, doch eine Verhaftung hätte auch die
Ungewissheit verlängert, ein Prozess wäre angestrengt worden, sie
hätten öffentlich in den Zeugenstand gemusst, die ganze Publicity hätte
ihnen geschadet. Ein Geständnis mit anschließendem Selbstmord war die
logische und – davon würden sie sich überzeugen
können – für Candace gnädigste Lösung. Laut
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