Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
schon viermal wegen früherer sexueller
Übergriffe verhört worden, aber man konnte ihm nie etwas nachweisen.
Das Justizministerium wird froh sein, dass es nicht schon wieder ein
illegaler Einwanderer war oder jemand, der auf Kaution freigelassen
wurde. Und wir haben natürlich seinen genetischen Fingerabdruck. Ein
bisschen Kopfschmerzen bereitet es mir, wie wir die DNA speichern
sollen, wenn es nicht zur Anklage kommt, aber das ist nicht der erste
Fall, bei dem es nützlich war.«
»Ich gratuliere, Inspector. Besteht die Chance, dass er sich
schuldig bekennt? Es wäre gut, Annie die Mühsal einer Verhandlung zu
ersparen.«
»Auf jeden Fall, Sir. Die DNA ist nicht unser einziger Beweis,
aber er ist absolut schlagend. Es wird noch eine Weile dauern, bis das
Mädchen wieder so weit hergestellt ist, dass es in den Zeugenstand
treten kann.«
Leichteren Herzens klappte Dalgliesh nun sein Mobiltelefon zu.
Und jetzt musste er einen Ort finden, wo er sich eine Weile allein und
in Frieden hinsetzen konnte.
9
V on Bournemouth aus fuhr er Richtung Westen
über die Küstenstraße und suchte sich einen Platz, wo er das Auto
abstellen und über das Meer zum Hafen von Poole hinüberblicken konnte.
In der letzten Woche war er mit all seinen Gedanken und all seiner
Energie nur mit dem Tod von Rhoda Gradwyn und Robin Boyton beschäftigt
gewesen, aber nun musste es um seine Zukunft gehen. Man hatte ihm
einiges zur Auswahl angeboten, zumeist interessante und anspruchsvolle
Aufgaben, aber noch hatte er nur wenig darüber nachgedacht. Bis jetzt
stand nur eine Veränderung fest: die Hochzeit mit Emma, daran gab es
nichts zu rütteln; mit ihr würde er glücklich sein.
Endlich kannte er auch die Wahrheit über die beiden
Todesfälle. Vielleicht hatte Philip Kershaw recht gehabt: Es hatte
etwas Anmaßendes, immer die Wahrheit, die rätselhaften Pfade eines
anderen Denkens kennen zu wollen. Er war sich sicher, dass Candace
Westhall nie die Absicht gehabt hatte, Sharon zu ermorden. Gewiss hatte
sie das Mädchen in seiner Fantasterei bestärkt, vielleicht in der Zeit,
wenn sie allein waren und Sharon ihr bei den Büchern half. Aber ganz
sicher hatte Candace die Absicht und den Plan gehabt, die Welt davon zu
überzeugen, dass sie Rhoda Gradwyn und Boyton getötet hatte, und zwar
allein. Nach ihrem Geständnis war es keine Frage mehr, wie das Urteil
des Untersuchungsrichters ausfallen würde. Der Fall würde zu den Akten
gelegt werden, seine Arbeit war getan. Mehr konnte – und
wollte – er jetzt nicht mehr tun.
Auch von dieser Ermittlung würden Erinnerungen zurückbleiben,
Menschen, die sich ohne sein Zutun heimlich, still und leise in seinem
Kopf einnisten würden, aber auf Jahre hinaus durch einen Ort, ein
fremdes Gesicht, eine Stimme zum Leben erweckt werden konnten. Er hatte
nicht den Wunsch, regelmäßig die Vergangenheit neu zu durchleben, aber
diese kurzen Besuche machten ihn neugierig, warum sich ihm bestimmte
Menschen eingeprägt hatten und was aus ihnen geworden sein mochte.
Selten waren das die Hauptpersonen einer Ermittlung. Er glaubte zu
wissen, welche Menschen aus der letzten Woche ihm im Gedächtnis haften
bleiben würden. Pfarrer Curtis und seine blonde Kinderschar, Stephen
Collinsby und Lettie Frensham. Wie viele Leben hatten das seine in den
letzten Jahren kurz berührt, häufig in Verbindung mit Schrecken und
Tragödien, mit Grauen und Schmerzen? Ohne es zu wissen, hatten sie ihn
zu einigen seiner besten Gedichte inspiriert. Doch welche Inspirationen
würde er in der Bürokratie finden, in einem Amt?
Doch es wurde Zeit, in die Alte Wache zurückzukehren, seine
Sachen zu holen und sich auf den Weg zu machen. Im Manor hatte er sich
bereits von allen verabschiedet, und er war auch im Wisteria House
vorbeigefahren, um den Shepherds für ihre Gastfreundschaft gegenüber
seinem Team zu danken. Jetzt gab es nur einen Menschen, nach dem er
sich sehnte.
Als er im Cottage ankam, öffnete er die Tür. Das Feuer brannte
wieder, aber es war dunkel bis auf eine Lampe auf einem Tisch neben dem
Sessel am Kamin. Emma stand auf und kam auf ihn zu, ihr Gesicht und
ihre dunklen Haare glänzten im Schein des Feuers.
»Hast du es schon gehört?«, fragte sie. »Inspector Howard hat
eine Verhaftung vorgenommen. Wir müssen nicht mehr befürchten, dass er
irgendwo dort draußen lauert und es vielleicht wieder tut. Und Annie
geht es bald schon besser.«
»Andy Howard hat mich angerufen«, sagte Dalgliesh. »Das sind
wunderbare
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