Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
verspüre ich
ein Unwohlsein, das schwer zu erklären ist. Es ist das Gefühl, dass
etwas fehlt, dass etwas unvollständig ist.«
»Im Haus?«
»Nein, in mir.«
Wieder schwiegen sie. Dann fragte er: »Kann man das Liebe
nennen? Reicht das? Für mich schon, aber für dich? Möchtest du Zeit, um
darüber nachzudenken?«
Nun wandte sie sich ihm zu. »Um Zeit zu bitten wäre reines
Theater. Es reicht.«
Er berührte sie nicht. Er fühlte sich wie neu belebt, hatte
aber gleichzeitig weiche Knie. Er durfte nicht unbeholfen wirken.
Womöglich verachtete sie ihn, wenn er jetzt das Nächstliegende tat,
das, was er am liebsten getan hätte, sie in die Arme nehmen. Sie
standen einander gegenüber. Leise sagte er: »Danke.«
Mittlerweile waren sie beim Steinkreis angelangt. »Als ich
klein war, sind wir immer um den Kreis herumgelaufen und haben jeden
Stein mit der Fußspitze angetippt. Das sollte Glück bringen«, erzählte
sie.
»Dann sollten wir das jetzt vielleicht auch tun.«
Gemeinsam liefen sie um den Steinkreis herum, und er versetzte
jedem Stein einen leichten Stups mit dem Fuß.
Als sie zur Lindenallee zurückkehrten, sagte er: »Was ist mit
Lettie? Möchtest du, dass sie bleibt?«
»Wenn sie es will. Ehrlich gesagt wäre es in der ersten Zeit
etwas schwierig, ohne sie zurechtzukommen. Aber sie wird nicht im Manor
wohnen wollen, wenn wir erst verheiratet sind, das wäre auch für uns
nicht praktisch. Wir könnten ihr das Stone Cottage anbieten, sobald es
leer geräumt und neu eingerichtet ist. Sie würde dabei natürlich gerne
mitwirken. Und es würde ihr gefallen, im Garten Hand anzulegen.«
»Wir könnten ihr das Cottage anbieten«, sagte Chandler-Powell.
»Es ihr überschreiben, meine ich. Bei dem Ruf, den es hat, wäre es
nicht leicht zu verkaufen. Sie hätte eine Sicherheit für ihr Alter.
Sonst will es doch keiner haben. Aber würde Lettie es überhaupt wollen?
Irgendwie haftet ihm der Geruch von Mord, Unglück und Tod an.«
»Lettie hat ein ziemlich dickes Fell, was solche Dinge angeht.
Ich glaube schon, dass es ihr im Stone Cottage gefallen würde, aber sie
will es sicher nicht geschenkt haben. Wenn, dann wird sie es dir
abkaufen wollen.«
»Könnte sie sich das leisten?«
»Ich glaube schon. Sie hat immer schon gespart. Und es ist
günstig zu haben. Du sagst ja selber, mit seiner Geschichte ist das
Stone Cottage kaum zu verkaufen. Ich frage sie einfach mal. Wenn sie
ins Cottage zieht, braucht sie eine Gehaltserhöhung.«
»Könnten wir uns das leisten?«
Helena lächelte. »Du vergisst, dass ich Geld habe. Wir haben
uns schließlich darauf geeinigt, dass das Restaurant meine Investition
sein wird. Guy war vielleicht ein untreuer Mistkerl, aber kein
Charakterschwein.«
Dieses Problem war also gelöst. Chandler-Powell konnte sich
vorstellen, dass in seinem Eheleben vieles nach diesem Muster ablaufen
würde. Ein Problem wird erkannt, eine vernünftige Lösung wird
vorgeschlagen, er selbst muss nichts weiter unternehmen.
Leichthin sagte er: »Da wir zumindest am Anfang nicht ohne sie
können, klingt das alles sehr vernünftig.«
»Ich bin diejenige, die nicht ohne sie kann. Ist dir das nicht
aufgefallen? Sie ist mein moralischer Kompass.«
Sie liefen weiter. Chandler-Powell wurde immer klarer, dass ab
jetzt ein großer Teil seines Lebens für ihn geplant werden würde. Doch
der Gedanke bereitete ihm nicht etwa Unbehagen, im Gegenteil. Er würde
hart arbeiten müssen, um sowohl die Wohnung in London als auch das
Manor halten zu können, er hatte allerdings immer schon hart
gearbeitet. Sein Leben bestand aus Arbeit. Er war sich nicht ganz
sicher, was das Restaurant betraf, aber es wurde Zeit, dass etwas
unternommen wurde, um die Stallungen wieder mit einer Funktion
auszustatten, und die Restaurantbesucher müssten das Manor gar nicht
betreten. Außerdem war es wichtig, Dean und Kimberley zu behalten.
Helena wusste, was sie tat.
»Hast du etwas von Sharon gehört, wo sie ist, was für eine
Stelle sie ihr besorgt haben?«, fragte sie.
»Gar nichts. Sie kam aus dem Nirgendwo, und dorthin ist sie
auch wieder verschwunden. Glücklicherweise bin ich nicht für sie
verantwortlich.«
»Und Marcus?«
»Gestern ist ein Brief von ihm gekommen. Er scheint sich in
Afrika ganz gut einzuleben. Wahrscheinlich ist das im Moment der beste
Ort für ihn. Hier könnte er nicht über den Selbstmord von Candace
hinwegkommen. Wenn sie uns voneinander trennen wollte, dann ist ihr das
gründlich gelungen.«
Doch er
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