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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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hereingetragen. Es herrschte völlige Dunkelheit. Bevor
sie endlich Schwester Hollands Rat befolgt hatte, sich schlafen zu
legen, hatte sie darum gebeten, die Vorhänge zurückzuziehen und das
Gitterfenster einen Spalt zu öffnen; auch im Winter mochte sie nicht
ohne frische Luft schlafen. Vielleicht war das nicht klug gewesen.
Gebannt zum Fenster starrend, konnte sie sehen, dass das Zimmer dunkler
war als die Nacht draußen; hohe Sternbilder musterten einen sanft
leuchtenden Himmel. Der Wind frischte auf, rauschte im Kamin, sie
spürte seinen Atem auf der rechten Wange.
    Vielleicht sollte sie die ungewohnte Erschöpfung von sich
schütteln und aufstehen, um das Fenster zu schließen. Die Anstrengung
erschien ihr zu groß. Sie hatte das angebotene Schlafmittel abgelehnt
und wunderte sich, ohne jedoch beunruhigt zu sein, über diese Schwere,
diesen Wunsch, zu bleiben, wo sie war, warm und behaglich eingehüllt,
auf das nächste sanfte Brausen des Windes wartend, den Blick starr auf
das schmale Rechteck aus Sternenlicht gerichtet. Sie spürte keine
Schmerzen, hob die linke Hand und berührte vorsichtig den gepolsterten
Verband und das Klebeband, das ihn festhielt. Sie hatte sich an die
Steifheit und das Gewicht des Verbands gewöhnt und meinte beinahe, ihn
mit einer gewissen Zärtlichkeit zu berühren, als wäre er ebenso ein
Teil von ihr wie die unsichtbare Wunde, die er bedeckte.
    Und jetzt, in einer kurzen Windflaute, hörte sie ein so leises
Geräusch, dass nur die absolute Stille im Zimmer es hörbar gemacht
haben konnte. Es war mehr zu spüren als zu hören, etwas bewegte sich
durch das Wohnzimmer nebenan. Zuerst fühlte sie in ihrem schläfrigen
Halbbewusstsein keinerlei Furcht, nur eine vage Neugier. Es musste
früher Morgen sein. Vielleicht war es schon sieben, und der Tee war
gekommen. Und dann war da noch ein anderes Geräusch, ein ganz leises,
aber unverkennbares Quietschen. Jemand hatte die Schlafzimmertür
geschlossen. Die Neugier wich einer ersten kalten Beklommenheit. Es
erklang keine Stimme. Kein Licht wurde angeschaltet. Sie versuchte mit
gebrochener, vom Verband gedämpfter Stimme etwas zu rufen. »Wer ist da?
Was machen Sie hier? Wer sind Sie?« Sie bekam keine Antwort. Und jetzt
wusste sie, dass es kein freundlicher Besuch war, dass jemand im Zimmer
war, der Böses im Schilde führte.
    Sie lag steif da, als die bleiche Gestalt, in Weiß gehüllt und
maskiert, neben ihr Bett trat. Über ihr bewegten sich Hände in
ritueller Gestik, die obszöne Parodie einer geistlichen Segnung. Unter
größter Anstrengung versuchte sie sich aufzusetzen – das
Bettzeug war plötzlich bleischwer – und eine Hand nach dem
Klingelzug und dem Schalter der Lampe auszustrecken. Der Klingelzug war
verschwunden. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter, drehte ihn,
aber es leuchtete keine Glühbirne auf. Jemand hatte den Klingelzug
außer Reichweite festgeklemmt und die Birne aus der Lampe gedreht. Sie
stieß keinen Schrei aus. Die langen Jahre disziplinierter
Selbstkontrolle, des Unterdrückens aller Anzeichen von Angst, des
Verzichts auf befreiende Rufe und Schreie, hatten sie dieser Fähigkeit
beraubt. Und sie wusste, dass es ein sinnloser Versuch gewesen wäre,
der Verband machte schon das Sprechen fast unmöglich. Sie versuchte,
sich aus dem Bett zu erheben, aber sie war unfähig, sich zu bewegen.
    Schwach leuchteten die weißen Konturen der Gestalt aus der
Dunkelheit, der verhüllte Kopf, das maskierte Gesicht. Eine Hand
bewegte sich über die Scheibe des halb geöffneten Fensters –
aber es war nicht die Hand eines Menschen. Durch diese knochenlosen
Venen war nie Blut geflossen. Die Hand, so blässlich weiß, als wäre sie
vom Arm abgetrennt, bewegte sich in ungewisser Absicht langsam durch
den Raum. Geräuschlos verriegelte sie das Fenster und zog mit einer in
ihrer Kontrolliertheit beinahe zarten, eleganten Geste langsam den
Vorhang vor das Fenster. Die Dunkelheit im Raum wurde noch dichter,
jetzt war nicht nur das Licht ausgeschlossen, es schien eine
Verdichtung der Luft damit einhergegangen zu sein, die das Atmen
erschwerte. Sie redete sich ein, dass sie einer aus dem Halbschlaf
geborenen Halluzination erlegen war, und einen gesegneten Augenblick
lang, in dem aller Schrecken von ihr abfiel, starrte sie auf die
Vision, wartete darauf, dass sie sich in der Dunkelheit auflöste. Aber
dann erstarb alle Hoffnung.
    Die Gestalt stand neben dem Bett, schaute auf sie herunter.
Sie erkannte nichts als formlose

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