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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Schwester Holland gerade aus
ihrer Wohnung. Kim erwartete, dass die Oberschwester ihr das Tablett
aus der Hand nehmen würde, aber die warf nur einen flüchtigen Blick
darauf und öffnete die Tür zu Miss Gradwyns Suite; Kim sollte ihr
offenbar folgen. Vielleicht war das gar nicht so verwunderlich, dachte
Kim. Es gehörte schließlich nicht zu den Aufgaben einer Oberschwester,
den Patienten den Morgentee ans Bett zu tragen. Und mit einer
Taschenlampe in der Hand war das auch gar nicht so einfach.
    Im Wohnzimmer war es dunkel. Die Schwester schaltete das Licht
ein, sie gingen zusammen zur Schlafzimmertür, und die Schwester öffnete
sie leise. Auch im Schlafzimmer war es dunkel, und man hörte keinen
Laut, nicht einmal ein leises Atmen. Miss Gradwyn lag anscheinend noch
in festem Schlaf. Kim fand die Stille unheimlich, als käme man in ein
leeres Zimmer. Normalerweise merkte sie das Gewicht des Tabletts kaum,
jetzt schien es ihr mit jeder Sekunde schwerer zu werden. Sie war damit
in der offenen Tür stehen geblieben. Wenn Miss Gradwyn weiterschlief,
musste sie später frischen Tee kochen. Zu lange gezogen und abgekühlt
schmeckte er nicht mehr.
    Unbesorgt sagte die Schwester: »Wenn sie noch schläft, lassen
wir sie schlafen. Ich will nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
    Sie trat ans Bett, schwenkte den bleichen Mond ihrer
Taschenlampe über die auf dem Rücken liegende Gestalt, schaltete auf
hellen Strahl um. Sie knipste die Lampe wieder aus, und die schrille,
erregte Stimme, die Kim jetzt hörte, klang nicht mehr nach Schwester
Holland. »Zurück«, sagte sie. »Zurück, Kim, nicht reinkommen. Nicht
hinschauen! Nicht hinschauen!«
    Aber Kim hatte schon hingeschaut, und in diesen verwirrenden
Sekunden, bevor die Taschenlampe erlosch, hatte sie das bizarre Antlitz
des Todes gesehen: dunkles, über das Kopfkissen ausgebreitetes Haar,
die geballten, wie die eines Boxers erhobenen Fäuste, das eine offene
Auge, die bleifarbenen Flecken am Hals. Es war nicht Miss Gradwyns
Kopf – dieser Kopf gehörte zu niemandem, ein hellroter,
abgetrennter Kopf, ein Puppenkopf, der nichts mit etwas Lebendigem zu
tun hatte. Sie hörte das Krachen auf den Teppich fallenden Porzellans,
stolperte ins Wohnzimmer, beugte sich über einen Sessel und übergab
sich heftig. Der Gestank des Erbrochenen stieg ihr in die Nase, und ihr
letzter Gedanke, bevor sie in Ohnmacht fiel, galt bereits dem nächsten
Schrecken: Was würde Miss Cressett zu dem ruinierten Sessel sagen?
    Als sie zu sich kam, lag sie im Ehebett in
ihrem Schlafzimmer. Dean war bei ihr, und hinter ihm standen Mr.
Chandler-Powell und Schwester Holland. Einen Augenblick lag sie mit
geschlossenen Augen da und hörte die Stimme der Schwester und Mr.
Chandler-Powells Antwort.
    »George, wussten Sie von ihrer Schwangerschaft?«
    »Woher, um Himmels willen? Ich bin doch kein Geburtshelfer.«
    Sie wussten es also. Jetzt musste sie ihnen die Neuigkeit
nicht mehr erzählen. Dem Baby galt ihre ganze Sorge. Sie hörte Deans
Stimme. »Du hast geschlafen, nachdem du ohnmächtig warst. Mr.
Chandler-Powell hat dich heraufgetragen und dir ein Beruhigungsmittel
gegeben. Es ist bald Essenszeit.«
    Mr. Chandler-Powell trat vor, und sie fühlte seine kühle Hand
an ihrem Puls.
    »Wie fühlen Sie sich, Kimberley?«
    »Schon viel besser, danke.« Sie setzte sich ziemlich energisch
auf und schaute die Schwester an. »Schwester, ist dem Baby was
passiert?«
    Schwester Holland antwortete: »Keine Angst. Dem Baby ist
nichts passiert. Wir bringen Ihnen das Mittagessen hier herauf, wenn es
Ihnen lieber ist. Und Dean kann bei Ihnen bleiben. Ich kümmere mich mit
Miss Cressett und Miss Frensham um den Speisesaal.«
    Kim antwortete: »Nein, mir geht es wieder gut. Wirklich. Es
ist besser, wenn ich arbeite. Ich möchte zurück in die Küche. Ich will
bei Dean sein.«
    »Gut so, mein Mädchen«, sagte Mr. Chandler-Powell. »Wir müssen
jetzt alle unsere Arbeit tun, so gut es geht. Aber es gibt keinen Grund
zur Eile. Niemand soll sich verrückt machen. Chief Inspector Whetstone
ist schon hier gewesen, aber er wartet anscheinend noch auf eine
Spezialeinheit von der Metropolitan Police. Bis dahin verlieren Sie
bitte kein Wort über das, was letzte Nacht geschehen ist. Haben Sie
verstanden, Kim?«
    »Ja, Sir, ich habe verstanden. Miss Gradwyn ist ermordet
worden, oder?«
    »Ich denke, wir werden mehr erfahren, wenn die Leute aus
London hier sind. Wenn es Mord war, werden sie herausfinden, wer es
getan hat.

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