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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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dir Bekannte über den Weg laufen. Ich will
diese alltäglichen geselligen Dinge, die andere Menschen auch erleben.«
    Er wiederholte, und diesmal etwas aufrichtiger: »Es tut mir
leid. Ich war sicher egoistisch und gedankenlos. Vielleicht muss Zeit
vergehen, damit du etwas gnädiger auf diese acht Jahre zurückblickst.
Und es ist noch längst nicht zu spät. Du bist sehr attraktiv und noch
jung. Es ist nur vernünftig, wenn man erkennt, dass ein Lebensabschnitt
beendet ist und es Zeit ist, etwas Neues zu machen.«
    Jetzt konnte er ihr sogar in der Dunkelheit die Verachtung
ansehen. »Das heißt, du willst mich abschaffen?«
    »Nein, nicht so. Ein Neuanfang. Sagst du das nicht auch, geht
es nicht genau darum?«
    »Und du willst mich nicht heiraten? Du wirst deine Meinung
nicht ändern?«
    »Nein, Flavia, ich werde meine Meinung nicht ändern.«
    »Es ist das Manor, richtig?«, sagte sie. »Es ist keine andere
Frau, die zwischen uns steht, es ist das Haus. Du hast in diesem Haus
nie mit mir geschlafen, nie. Du willst mich hier nicht haben. Nicht für
immer. Nicht als deine Frau.«
    »Flavia, das ist lächerlich. Ich suche nicht nach der
geeigneten Schlossherrin.«
    »Wenn du in London leben würdest, in deiner Wohnung am
Barbican, müssten wir dieses Gespräch nicht führen. Wir wären glücklich
dort. Aber ich gehöre nicht hier in dein Herrenhaus, das sehe ich
deinen Augen an. Alles in diesem Haus wehrt sich gegen mich. Und bilde
dir nicht ein, dass die Leute hier nicht wissen, dass wir ein
Verhältnis haben – Helena, Lettie, die Bostocks, sogar Mog.
Wahrscheinlich haben sie schon Wetten laufen, wann du mich rauswirfst.
Und wenn es so weit ist, muss ich mich durch ihr Mitleid demütigen
lassen. Einmal frage ich dich noch – heiratest du mich?«
    »Nein. Es tut mir leid, Flavia, aber die Antwort ist nein. Wir
würden nicht glücklich werden, und eine zweite Enttäuschung will ich
nicht riskieren. Du musst akzeptieren, dass es zu Ende ist.«
    Zu seinem Entsetzen fing sie plötzlich zu weinen an. Sie griff
nach seiner Jacke, schmiegte sich an ihn, er hörte ihre keuchenden
Schluchzer, spürte den Pulsschlag ihres Körpers, die weiche Wolle ihres
Schals an seiner Wange, ihren vertrauten Geruch, ihren Atem. Er fasste
sie bei den Schultern und sagte: »Flavia, nicht weinen. Das ist eine
Befreiung. Ich gebe dich frei.«
    Sie löste sich von ihm, ein hilfloser Versuch, Würde zu
bewahren. Das Schluchzen unterdrückend, sagte sie: »Es würde seltsam
aussehen, wenn ich plötzlich verschwinde, außerdem wird morgen Mrs.
Skeffington operiert, und jemand muss sich um Miss Gradwyn kümmern.
Deshalb bleibe ich, bis du in die Weihnachtsferien abgereist bist, aber
wenn du zurückkommst, bin ich nicht mehr da. Und einen Wunsch musst du
mir noch erfüllen. Ich habe dich nie um etwas gebeten, richtig? Deine
Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke hast du von deiner Sekretärin
aussuchen oder gleich aus dem Laden herschicken lassen, das weiß ich
schon lange. Du musst heute Nacht zu mir kommen. Es ist das erste und
letzte Mal, das verspreche ich dir. Komm spät, gegen elf. Es darf nicht
so zu Ende gehen.«
    Jetzt wollte er sie nur noch loswerden. »Ja«, sagte er,
»natürlich komme ich.«
    Sie murmelte einen Dank, drehte sich um und ging mit schnellen
Schritten zum Haus zurück. Hin und wieder geriet sie ins Stolpern, und
er musste dem Impuls widerstehen, ihr nachzugehen, zu versuchen, sie
mit ein paar letzten Worten zu beschwichtigen. Aber die würde er nicht
finden. Er wusste, dass er in Gedanken bereits nach einer neuen
OP-Schwester suchte. Er wusste auch, dass er sich zu einer fatalen
Zusage hatte verleiten lassen, aber daran war jetzt nichts mehr zu
ändern.
    Er wartete, bis ihre Gestalt immer undeutlicher wurde und in
der Dunkelheit verschwand.
    Und er wartete noch eine Weile. Sein Blick wanderte hinauf zum
Westflügel, wo zwei schwache Lichter zu sehen waren, eins in Mrs.
Skeffingtons Zimmer, das andere nebenan bei Rhoda Gradwyn. Ihre
Nachttischlampe brannte also noch, sie hatte sich noch nicht schlafen
gelegt. Er dachte an die Nacht vor gut zwei Wochen zurück, als er auf
der Mauer gesessen und ihr Gesicht am Fenster beobachtet hatte. Wieso
zog gerade diese Patientin seine Fantasie so sehr in ihren Bann.
Vielleicht war es die kryptische und nach wie vor ungeklärte Antwort
auf seine Frage, warum sie so lange damit gewartet hatte, sich von
ihrer Narbe zu befreien. Weil ich sie nicht mehr brauche.

14
    V ier Stunden zuvor war

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