Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
wirst.«
»Und mit der Tür bist du dir ganz sicher?«
»Ganz sicher. Aber wenn die Polizei darauf herumreitet, werde
ich wohl sagen, dass ich es nicht beschwören kann.«
Kim sagte: »Es ist so still, findest du nicht? Inzwischen
müsste doch jemand gekommen sein. Sollen wir eigentlich ganz allein
hier sein?«
»Sie haben gesagt, wir sollen unsere Arbeit machen«, sagte
Dean. »Die Küche ist unser Arbeitsplatz. Und da gehörst du hin, hierher
zu mir.«
Er kam leise zu ihr herüber und nahm sie in die Arme. Eine
Minute lang standen sie bewegungslos da, schweigend, und sie war
getröstet. Er ließ sie los und sagte: »Jedenfalls sollten wir langsam
mal an das Mittagessen denken. Es ist schon halb zwei. Bis jetzt haben
sie alle nur Kekse und Kaffee bekommen. Früher oder später brauchen sie
etwas Warmes, und auf den Schmortopf hat bestimmt keiner Appetit.«
Den Rinderschmortopf hatte er schon gestern gekocht, er musste
nur noch auf dem Herd warm gemacht werden. Er reichte für die ganze
Belegschaft, und auch noch für Mog, wenn er aus dem Garten kam. Aber
jetzt würde ihr schon der starke Geruch auf den Magen schlagen.
Dean sagte: »Nein, lieber nichts Schweres. Ich könnte eine
Erbsensuppe machen. Wir haben die Brühe aus dem Rinderknochen, und dazu
vielleicht Brote, Eier, Käse …« Er verstummte.
Kim sagte: »Mog hat sicher kein frisches Brot geholt. Mr.
Chandler-Powell hat ja gesagt, dass alle im Haus bleiben sollen.«
»Wir könnten Buttermilchbrot backen, das wird immer gern
gegessen.«
»Und die Polizisten? Müssen wir die auch verpflegen? Du hast
gesagt, für Chief Inspector Whetstone hättest du nur Kaffee gemacht.
Aber die neue Mannschaft kommt ja ganz aus London. Die haben eine lange
Fahrt hinter sich.«
»Ich weiß es nicht. Da muss ich Mr. Chandler-Powell fragen.«
Und dann fiel es Kim wieder ein. Seltsam, dass sie es
vergessen hatte. Sie sagte: »Heute wollten wir ihm vom Baby erzählen,
gleich nach Mrs. Skeffingtons Operation. Jetzt wissen sie es schon und
sind gar nicht besorgt. Miss Cressett sagt, es gibt im Manor jede Menge
Platz für ein Baby.«
Kim meinte, neben etwas Ungeduld auch den Unterton leiser
Zufriedenheit aus Deans Stimme herauszuhören. »Wir müssen nicht jetzt
entscheiden, ob wir mit dem Baby hierbleiben wollen, wo wir noch nicht
einmal wissen, ob es mit der Klinik weitergeht. Wer will denn jetzt
noch herkommen? Würdest du in dem Zimmer schlafen wollen?«
Kim sah ihn an, und einen Augenblick lang verhärteten sich
seine Züge, als hätte er einen Entschluss gefasst. Als die Tür aufging,
drehten sie sich um, und Mr. Chandler-Powell kam herein.
5
C handler-Powell sah auf seine Uhr, es war
zwanzig vor zwei. Vielleicht sollte er jetzt mit den Bostocks reden,
die sich in ihrer Küche verschanzt hatten. Er musste sich vergewissern,
dass Kimberley sich vollständig erholt hatte, und nachfragen, ob sie
sich schon Gedanken über das Essen gemacht hatten. Noch hatte niemand
etwas gegessen. Die sechs Stunden seit der Entdeckung der Mordtat
erschienen ihm wie eine Ewigkeit, ein Wust nicht registrierter Zeit,
aus der kleine, zusammenhanglose Ereignisse mit großer Klarheit
hervorstachen. Das Versiegeln des Mordzimmers auf Anweisung von Chief
Inspector Whetstone; die Suche nach der breitesten Rolle Tesafilm in
den hintersten Winkeln seines Schreibtischs; das Versäumnis, das Ende
zu befestigen, so dass der Streifen festklebte und die Rolle
unbrauchbar wurde; Helena, die ihm die Rolle aus der Hand nahm und es
besser machte; ihr Vorschlag, das Band zu beschriften, damit niemand es
austauschen konnte. Er hatte nichts davon mitbekommen, dass aus
nächtlicher Finsternis ein grauer Wintermorgen geworden war, von den
vereinzelten Böen des abflauenden Sturms, die so laut wie verirrte
Gewehrschüsse waren. Trotz der kurzen Aussetzer der Erinnerung, dem
Zerfallen der Zeit, war er überzeugt, alles getan zu haben, was von ihm
erwartet wurde – er war mit Mrs. Skeffingtons Hysterie fertig
geworden, hatte Kimberley Bostock untersucht und Anweisungen für ihre
Pflege gegeben und versucht, jeden von ihnen während der endlosen
Wartezeit bis zum Eintreffen der örtlichen Polizei so gut es ging zu
beruhigen.
Der Duft nach heißem Kaffee wehte durch das Haus, schien
stärker zu werden. Wie hatte er ihn jemals als tröstlich empfinden
können? Würde er ihn jemals wieder ohne den Stich der Erinnerung an die
Katastrophe wahrnehmen können? Vertraute Gesichter waren auf einmal
fremd geworden,
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