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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Freunde betraf, liebte sie
Abwechslung, aber Promiskuität duldete sie so wenig wie ein
fundamentalistischer Priester. Ihr Sexualleben bestand aus einer strikt
von der Zeit diktierten Abfolge von einander unabhängigen Affären, von
denen kaum eine – immerhin war sie so rücksichtsvoll, Benton
davon in Kenntnis zu setzen – länger als sechs Monate dauerte.
So schlank ihr hübscher, fester kleiner Körper war, aß sie für ihr
Leben gern, und er wusste, dass er einen nicht geringen Teil seiner
Attraktion den Mahlzeiten verdankte, zu denen er sie entweder in
sorgsam ausgewählte Restaurants, die er sich kaum leisten konnte,
oder – was ihr lieber war – zu sich nach Hause
einlud. Das Mittagessen mit seinen Eltern, zu dem sie ebenfalls
eingeladen war, diente auch dem Zweck, ihr klarzumachen, was sie in der
Zwischenzeit versäumt hatte.
    Er hatte ihre Eltern nur einmal und nur sehr kurz gesehen und
war überrascht gewesen, dass dieses wohlbeleibte, konservative, adrett
gekleidete und physisch eher unauffällige Ehepaar dieses exotische Kind
produziert hatte. Er schaute sie gerne an, dass blasse ovale Gesicht,
das dunkle Haar, zu einem Pony geschnitten über leicht schräggestellten
Augen, die ihr einen Hauch von orientalischer Schönheit gaben. Da sie
aus einer ähnlich privilegierten Familie stammte wie er, konnte sie
trotz aller Bemühungen die Rückstände einer guten Allgemeinbildung
nicht ganz verwischen. Aber sie hatte die verachteten bürgerlichen
Werte und Attribute im Dienst ihrer Kunst über Bord geworfen und war in
Sprache und Auftreten zu Abbie geworden, der ungehobelten Tochter des
Gastwirts in einer Seifenoper, die in einem Dorf in Suffolk spielte.
Während der ersten Etappe ihrer Beziehung hatte sie vor einer
aussichtsreichen schauspielerischen Karriere gestanden. Es gab Pläne
für eine Affäre mit dem Gemeindeorganisten, inklusive Schwangerschaft,
illegaler Abtreibung und allgemeiner Empörung im Dorf. Aber dann hatte
es Zuschauerproteste gehagelt, dieses ländliche Idyll sei drauf und
dran, Serien wie East Enders Konkurrenz
zu machen, und inzwischen kursierten Gerüchte, dass Abbie eine
Läuterung erfahren sollte. Man munkelte von ehrenwerter Heirat und
tugendhafter Mutterschaft. Eine Katastrophe, klagte Beverley. Ihr Agent
streckte bereits die Fühler aus, um Profit aus ihrer gegenwärtigen
Beliebtheit zu schlagen, solange sie noch währte. Francis –
für seine Kollegen bei der Met nur Benton – zweifelte nicht
daran, dass das Mittagessen ein voller Erfolg werden würde. Seine
Eltern waren immer begierig, etwas über diese geheimnisvolle Welt zu
erfahren, die ihnen verschlossen war, und Beverley würde mit großem
Vergnügen lebhaft den Inhalt des neuesten Drehbuchs zum Besten geben,
wahrscheinlich mit Originaldialogen.
    Seine eigene Erscheinung war, fürchtete er, kaum weniger
irreführend als Beverleys. Sein Vater war Engländer, seine Mutter
Inderin, und er hatte ihre Schönheit geerbt, nicht aber die tiefe Liebe
zu ihrem Land, die sie nie verloren hatte, und die ihr Ehemann mit ihr
teilte. Sie war achtzehn, als sie heirateten, und er schon dreißig. An
ihrer leidenschaftlichen Liebe füreinander hatte sich bis heute nichts
geändert, und der Höhepunkt jedes Jahres war die gemeinsame
Indienreise. Als Junge war er noch mitgefahren, aber er hatte sich dort
immer fremd und unbehaglich gefühlt, unfähig, an einer Welt
teilzuhaben, in deren Kleidung, Essgewohnheiten und Sprache sich sein
Vater, der sowohl in England als auch in Indien ein glücklicherer und
unbeschwerter Mensch war, ohne weiteres einfügte. Von früher Kindheit
an hatte Francis gefühlt, dass die Liebe seiner Eltern zu grandios war,
um Raum für einen Dritten zu lassen, und sei es der einzige Sohn. Er
wusste, dass er geliebt wurde, aber in der Gegenwart seines Vaters,
eines pensionierten Schuldirektors, war er sich immer wie ein
geschätzter, weil vielversprechender Sechstklässler und nicht wie ein
Sohn vorgekommen. Ihre gutgemeinte Nichteinmischung war beunruhigend.
Als er mit sechzehn die Klagen eines Klassenkameraden über seine Eltern
hörte – die lächerliche Vorschrift, vor Mitternacht zu Hause
zu sein, die Warnungen vor Drogen, Alkoholmissbrauch, AIDS, ihr
Beharren auf dem Vorrang der Hausaufgaben vor jeder Art von Vergnügung,
die pingelige Jammerei über Haartracht, Kleidung und den Zustand seines
Zimmers, das schließlich Privatbereich war –, kam ihm zum
ersten Mal zu Bewusstsein, dass die Toleranz

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