Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
das
Manor um kurz nach zehn durch den Vordereingang. Mr. Chandler-Powell
war gerade die Treppe heruntergekommen, und sie hatten sich eine gute
Nacht gewünscht, bevor sie das Haus verließ. Heute Morgen rief er sie
dann aus dem Büro an und teilte ihr mit, dass Miss Gradwyn tot
aufgefunden worden war, woraufhin sie und ihr Bruder unverzüglich ins
Manor fuhren. Marcus Westhall war in den Nachtstunden aus London
zurückgekehrt. Sie hatte sein Auto ankommen hören, war aber nicht
aufgestanden, auch wenn er an ihre Schlafzimmertür geklopft und sie ein
paar Worte gewechselt hatten.
Schwester Flavia Holland machte ihre Aussage knapp und ruhig.
Früh am Morgen der Operation waren der Anästhesist und das zusätzliche
medizinische und technische Personal eingetroffen. Krankenschwester
Frazer, die zum Teilzeitpersonal gehörte, holte die Patientin in den OP
herunter, wo sie derselbe Anästhesist übernahm, von dem sie im St.
Angela's in London schon einmal untersucht worden war. Mr.
Chandler-Powell verbrachte einige Zeit mit ihr, um sie zu begrüßen und
ihr Mut zuzusprechen. Er dürfte ihr beschrieben haben, was er zu tun
beabsichtigte, wie schon bei ihrem ersten Besuch in seinem Sprechzimmer
im St. Angela's. Miss Gradwyn war die ganze Zeit über sehr ruhig
gewesen und hatte keinerlei Anzeichen von Angst oder besonderer
Besorgnis gezeigt. Der Anästhesist und das gesamte zusätzliche Personal
waren gleich nach Beendigung der Operation wieder abgefahren.
Zurückerwartet wurden sie am nächsten Morgen zu dem Eingriff bei Mrs.
Skeffington. Sie war gestern Nachmittag eingetroffen. Nach der
Operation war Miss Gradwyn im Erholungszimmer unter ihrer und Mr.
Chandler-Powells Aufsicht, bevor man sie um halb fünf auf ihr Zimmer
zurückbrachte. Inzwischen war die Patientin schon wieder in der Lage zu
gehen und gab an, nur leichte Schmerzen zu spüren. Sie hatte dann bis
halb acht geschlafen, danach konnte sie ein leichtes Abendessen zu sich
nehmen. Ein Beruhigungsmittel lehnte sie ab, dafür bat sie um ein Glas
heiße Milch mit Brandy. Schwester Holland war im letzten Zimmer links
und schaute stündlich zu Miss Gradwyn hinein, bis sie selber ins Bett
ging, ungefähr gegen Mitternacht. Beim letzten Check um elf schlief die
Patientin. Während der Nacht hatte sie nichts gehört.
Mr. Chandler-Powells Bericht stimmte mit ihrem überein. Er
wies darauf hin, dass die Patientin keinerlei Angst gezeigt habe, weder
vor der Operation noch vor sonst etwas. Sie hatte ausdrücklich darum
gebeten, während der einwöchigen Rekonvaleszenz keine Besucher zu ihr
zu lassen, deshalb habe man Robin Boyton den Zutritt verwehrt. Die
Operation sei gut verlaufen, aber langwieriger und komplizierter
gewesen als erwartet. Trotzdem habe er keinerlei Zweifel an einem
exzellenten Ergebnis gehabt. Miss Gradwyn war eine gesunde Frau, hatte
die Narkose und die Operation gut überstanden, und was ihre Genesung
betraf, sei er ganz unbesorgt gewesen. In der Todesnacht hatte er gegen
zehn noch einmal bei ihr hineingeschaut und kam gerade von diesem
Besuch, als er Miss Westhall das Haus verlassen sah.
Sharon hatte während der gesamten Prozedur still dagesessen,
mit einem Gesichtsausdruck, für den Kate nur das Wort Flunsch einfiel,
und als man sie fragte, wo sie gestern war und was sie getan hatte,
setzte sie zu einem verdrießlichen Rechenschaftsbericht über jede
einzelne Verrichtung des Vor- und Nachmittags an. Darum gebeten, sich
auf die Zeit nach halb fünf zu beschränken, gab sie an, in der Küche
und im Speisesaal beschäftigt gewesen zu sein, Dean und Kimberley
Bostock geholfen und um Viertel vor neun mit den beiden zusammen
gegessen zu haben, anschließend in ihr Zimmer gegangen zu sein und sich
noch eine Weile vor den Fernseher gesetzt zu haben. Sie konnte sich
nicht erinnern, was sie gesehen hatte oder wann sie zu Bett gegangen
war. Sie sei sehr müde gewesen und habe die Nacht durchgeschlafen wie
ein Stein. Vom Tod Miss Gradwyns habe sie erst erfahren, als Schwester
Holland heraufgekommen war, um sie zu wecken und zum Küchendienst zu
schicken, und das müsse so gegen neun gewesen sein. Miss Gradwyn war
nett zu ihr gewesen und katte sich schon bei ihrem ersten Besuch im
November von ihr auf einen Rundgang durch den Garten führen lassen. Auf
Kates Frage, worüber sie damals geredet hätten, antwortete sie, über
ihre Kindheit, wo sie zur Schule gegangen war und über ihre Arbeit im
Alterskeim.
Bis zu den Aussagen von Dean und Kimberley Bostock gab
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