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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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war klar, es hatte ein bisschen abgekühlt, die Temperatur war geradezu perfekt.
    Na, fragte Shershah.
    Komm zu dir, sagte ich, wir haben immer noch das Auto verloren. Und – wo ist Jessie?
    An den Wänden des Bahnhofs saß eine Reihe Interrailer an ihre bunten Rucksäcke gelehnt. Einer von ihnen hatte eine Wandergitarre auf das angewinkelte Knie gestützt und spielte The Answer My Friend. Wir drehten uns eine Weile um uns selbst.
    Gibt es hier vielleicht mehrere Bahnhöfe, fragte ich.
    Quatsch, fuhr Shershah mich an.
    Es war der erste Moment, in dem er die Haltung zu verlieren schien. Mir kam auf einmal der Verdacht, er könnte mehr wissen über die ganze Aktion als ich.
    Sie muss hier sein, sagte er, wir sind nur eine halbe Stunde zu spät.
    Er machte sich auf den Weg, um auf der anderen Bahnhofsseite und in der Halle zu suchen. Mein Nikotinbedarf war noch lange nicht gedeckt, ich besuchte die Interrailer und bat um eine Zigarette. Es waren Deutsche. Ich stellte mich in die Mitte des Platzes, beschäftigte mich nur mit Rauchen und dem Gefühl der leicht bewegten Sommerluft auf meinem Gesicht. Jedes Land, jede Stadt hat ihren eigenen Geruch. So also roch Süditalien, so roch Bari.
    Am Ende des Platzes war eine große Kreuzung, kurz davor verschluckte sich der Boden stufenweise in eine Fußgängerunterführung hinunter. Auf der anderen Seite sah ich einen kleinen Park, der außerordentlich dunkel wirkte, er schien jegliches Licht zu absorbieren. Um den Park herum bog sich die breitere der beiden Straßen in eine weite Rechtskurve und gewann das Aussehen eines Stadtrings. Als Jessie in der Unterführung erschien, kam sie mir wie eine Erscheinung vor. Von ihren gelben Haaren schien Licht auszugehen, sie kam unerträglich langsam auf mich zu, und sie trug einen Hamburger, den sie mit beiden Händen festhalten musste. Es machte mich glücklich, sie zu sehen.
    Sie blieb vor mir stehen und saugte am Strohhalm einer Limo, die sie in der Armbeuge hielt. Dabei vertieften sich ihre Grübchen, und die Flüssigkeit stieg als dünner gelber Spross in den Halm wie der Trieb einer Pflanze im Zeitraffer. Jessies Lippen waren bemalt, mit irgendeinem rosa Zeug, fast sah es aus wie Filzstift. An den Mundwinkeln war die Farbe verschmiert, so dass sie ständig zu lächeln schien.
    Was starrst du mich so an?, fragte sie.
    Sie biss fast die Hälfte von ihrem Burger ab und grinste mich mit vollen Backen an. Noch vor dem Schlucken saugte sie etwas Gelb dazu. Ich sah ihr zu und dachte, dass sie einen Berg aß und die Sonne dazu trank.
    Schön, dass ihr es geschafft habt, sagte sie schließlich, wo ist Shershah?
    Sucht dich, murmelte ich. Ich muss dir was sagen.
    Ich wollte es hinter mich bringen. Sie reckte den Hals und suchte mit Blicken den Platz ab, die Reihe Interrailer, den Eingang zum Bahnhof. Ich musste sie an den Schultern fassen, damit sie mich anschaute.
    Hör zu, sagte ich, das Auto wurde geklaut.
    Da ist er ja!, rief Jessie.
    Sie schlüpfte unter meinen Händen weg und lief auf Shershah zu. Sie schenkte ihm den Rest ihres Hamburgers und wischte sich die Finger an der Hose ab. Auf einmal spürte ich einen Stich in den Gedärmen, als hätte man mir ein Messer darin umgedreht, und ich wusste, dass ich jetzt aufs Klo musste und dass mir nur noch wenige Sekunden dafür blieben. Ich rannte an Shershah und Jessie vorbei und in das Bahnhofsgebäude hinein.
    Papier gab es nirgends. Ich hatte keine Wahl, meine Gedärme tanzten wie ein Nest balzender Würmer. Mit beiden Händen klammerte ich mich an den Türgriff, ging in die Knie und beugte den Oberkörper weit nach vorne, bis mein Hintern über der Schüssel schwebte. Was aus mir herausschoss, war flüssig und fast klar.
    Als ich mich wieder erhob, schmerzten meine Oberschenkel, ich zog Hose und Boxershorts aus, benutzte letztere, um mich abzuwischen, und warf sie ins Klo.
    Draußen traten Shershah und Jessie von einem Fuß auf den andern.
    Mann, sagte Jessie, spinnst du?
    Ich entschuldigte mich, ich gab innerlich auf. Ich spürte, dass mir meine Verdauung nur wenige Minuten lassen würde, bis ich das nächste Klo brauchte. Jessie wedelte mit drei Flugtickets vor meinem Gesicht herum.
    Kapierst du nicht, fragte sie, dass wir gerade den Charter verpasst haben.
    Ich bin krank, flüsterte ich.
    Wir müssen zurück, sagte Jessie, so schnell wie möglich.
    Lass uns dahin gehen, wo du den Hamburger her hattest, sagte Shershah.
    Ja bitte, flehte ich.
    Wir strebten der Unterführung zu. Ich

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