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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Rufus alle Anrufe routinemäßig mitschneide, wollte sie wissen, und ich fragte mich, woher sie Rufus kannte. Auf ihre Bitte hin stellte ich den Mitschnitt aus, was streng verboten war. Immer erkundigte sie sich zuerst nach einer Nachricht für sie, und danach plauderten wir ein bisschen. Sie erzählte ihre merkwürdigen Geschichten, von durchsichtigen Menschen, die reglos auf ihren Sockeln stehen, von Fischen, Tigern und Brunnen. Ich tat immer so, als wäre es ein normales Gespräch, stellte Fragen, als wüsste ich genau, worum es ging. Obwohl ich nichts verstand, waren mir ihre Erzählungen irgendwie vertraut, es hätten Teile aus Märchen sein können, die mir als Kleinkind vorgelesen worden waren und an die ich mich vage erinnerte. Je öfter ich ihr zuhörte, desto mehr gefiel es mir, ich stand dabei am offenen Fenster, hatte die Augen geschlossen und presste mir das schnurlose Telephon so fest wie möglich ans Ohr, um auf diese Art ihre Stimme direkt in meinen Kopf zu implantieren.
    Manchmal war sie in der Leitung und sprach überhaupt nichts, atmete nur schwer in den Hörer. Dann verkrampfte ich mich mehr und mehr, während ich dem Geräusch zuhörte, das ihre Lungen machten, und mir fiel kein einziges Wort ein, das es zu sagen gegeben hätte. Wenn sie endlich auflegte, konnte ich nicht weiterarbeiten, ging nach Hause und kam lange nicht zur Ruhe. Aber wenn sie gar nicht anrief, wurde ich noch viel nervöser, arbeitete weiter, während ich auf das Klingeln des Telephons wartete, und verließ die Kanzlei erst nach Mitternacht.
    Ich weiß nicht, warum ich irgendwann fragte, um was für eine Nachricht es eigentlich ging, die bei mir für sie eintreffen sollte. Dabei hatte ich mich längst an das Ritual ihrer Erkundigung gewöhnt.
    Ach, antwortete sie, die kommt sowieso nicht mehr.
    Warum nicht, fragte ich.
    Shershah und ich, sagte sie, hatten dich als Kontaktpunkt für Notfälle vereinbart. Er wollte sich melden.
    Da also war er, endlich aufgetaucht. Nicht dass ich nicht an ihn gedacht hätte. Eigentlich dachte ich die ganze Zeit an ihn, er lauerte irgendwo im Hintergrund wie Fortinbras bei Hamlet. Trotzdem hatte ich mir die absurde Vermutung erlaubt, Jessie könnte einfach den Kontakt zu ihm verloren haben, nachdem sie beide damals von der Schule verschwunden waren.
    Aber er ist tot, sagte sie. Und ich frage nur weiter nach einer Botschaft, um mir selbst eine kleine Freude zu machen.
    Ich schlug mir die Hand vor den Mund, nicht aus Entsetzen, sondern um die Fragen zurückzuhalten, die sofort herausdrängten, wann, wo, woran. Ich wollte es nicht wissen, also gab es auch keinen Grund zu fragen. Er war tot, ich lebte, das war genug.
    Weißt du, ob es hier irgendwo Wasser gibt, fragt Clara.
    Ich fasse hastig nach der Stoptaste, ich will keine andere Stimme auf den Bändern. Ich spule zurück: schlug mir die Hand vor den, zu weit, wieder vor: Wasser gibt, zurück. Jetzt passt es.
    Donaukanal, sage ich ungeduldig, aber so nah ist das nicht.
    Dann sehe ich den Hund, der sich in den Schatten geschleppt hat und flach auf der Seite liegt, seine Zunge hängt im Dreck und bewegt beim Hecheln ein paar trockene Blätter, die an ihr kleben bleiben. Wie seine Gesichtsfarbe unter dem Fell aussehen müsste, kann ich an Clara erkennen.
    Ich weiß nicht, wie du das aushältst, flüstert Clara, wir holen dich nachher hier ab.
    Aber dazu musst du über den Schottenring, rufe ich ihr nach.
    Sie dreht sich nicht um und wankt, den Hund hinter sich, den Ring Richtung Oper hinauf.
    Ich will den Recorder wieder einschalten, aber dann stehe ich auf wie an Schnüren gezogen und gehe ihr nach. Irgendwie kommt es mir vor, als müsste sie sich hinter der nächsten Ecke aufrichten, den Rücken straffen und eine andere Gangart annehmen wie ein Schauspieler, der die Bühne verlassen hat und auf dem Weg in die Garderobe zu seinem natürlichen Schritt zurückfindet. Aber nichts dergleichen geschieht, sie reißt sich noch nicht einmal die Perücke vom Kopf, unter der ihr Hirn langsam hart kochen muss wie ein Frühstücksei. Wir durchqueren hintereinander den Rathauspark und verlassen ihn durch eins der Eisentore, ich gebe mir keine Mühe, mich zu verstecken. Weder sie noch der Hund drehen sich um.
    Da ist es wieder, das viel zu griechische Hauptportal mit der Auffahrtrampe und den lächerlichen Reiterstandbildern davor. Meine Beine werden langsamer, als wäre der Luftwiderstand zunehmend größer in der Umlaufbahn des Parlaments. Clara und der Hund

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