Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
sagen, wenn die Polizei dich suchen kommt? Sie denkt, dass du bei einer Freundin übernachtest, oder? Sie mag es nicht, dass du mit Baz rumhängst. Sie denkt, er ist ein Versager, ein hoffnungsloser Fall.«
»Mach, dass er aufhört, Baz.« Denny schlägt sich die Hand vor den Mund.
»Halt dein beschissenes Maul!«
Niemand sagt etwas. Sie beobachten mich. Ich mache einen Schritt auf Baz zu und flüstere: »Benutz deine grauen Zellen, Baz. Ich will bloß meine Brieftasche.«
Denny unterbricht mich, den Tränen nahe. »Gib ihm einfach die Scheißbrieftasche. Ich will nach Hause.«
Ozzie wendet sich an Carl. »Los, komm.«
Baz weiß nicht, was er machen soll. Er könnte mich im Handumdrehen abstechen, aber er ist jetzt alleine. Die anderen schlendern johlend davon.
Er presst mich fest an den Zaun, drückt mir das Messer an den Hals und beugt sich ganz dicht zu mir. Seine Zähne schließen sich um mein Ohrläppchen. Ich spüre ein weißes Brennen und einen stechenden Schmerz. Er reißt den Kopf zur Seite, spuckt in eine Pfütze und schubst mich weg.
»Das ist ein kleines Andenken von Bobby!«
Er wischt sich den blutigen Mund ab, bevor er großspurig
abzieht und im Gehen gegen die Tür eines geparkten Wagens tritt. Ich sitze an den Zaun gelehnt in einer Pfütze, die Brieftasche zu meinen Füßen. Am anderen Ufer des Mersey blinken Navigationslichter auf den Spitzen der Kräne.
Ich ziehe mich langsam an dem Zaun hoch und versuche zu stehen. Mein rechtes Bein gibt nach, und ich sinke auf die Knie. Blut sickert warm an meinem Hals hinunter.
Ich stolpere auf die Hauptstraße, doch es ist kein Auto in Sicht. Aus Sorge, dass sie zurückkommen könnten, drehe ich mich immer wieder um. Eine halbe Meile die Straße hinunter entdecke ich eine Mini-Taxi-Zentrale mit Metallgittern vor Türen und Fenstern. In dem Raum hängt eine dichte Wolke aus Zigarettenqualm und Fast-Food-Gerüchen.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragt ein dicker Mann hinter dem Gitter.
In der Scheibe sehe ich mein Spiegelbild. Der untere Teil meines Ohres fehlt, und mein Hemdkragen ist blutdurchtränkt.
»Ich bin überfallen worden.«
»Von wem?«
»Ein paar Jugendlichen.«
Ich klappe meine Brieftasche auf. Das Bargeld ist noch da.
Der dicke Mann verdreht die Augen und vergisst alle Sorge um mich. Ich bin bloß ein Betrunkener, der in eine Schlägerei geraten ist. Über Funk ruft er einen Wagen und lässt mich draußen auf dem Bürgersteig warten. Auf der Hut vor Baz blicke ich nervös die Straße hinauf und hinunter.
Ein Andenken! Bobby hat ja charmante Freunde. Warum haben sie das Geld nicht genommen? Was sollte das Ganze? Es sei denn, sie wollten mich warnen. Liverpool ist eine Stadt, die so groß ist, dass man darin verloren gehen kann, und so klein, dass man bemerkt wird, vor allem wenn man Fragen stellt.
Ich sitze mit geschlossenen Augen zusammengesunken auf dem Rücksitz eines Mazda 626 und spüre, wie mein Herzschlag sich beruhigt. Der Schweiß zwischen meinen Schulterblättern
ist getrocknet, und mein Nacken fühlt sich steif an.
Das Mini-Taxi setzt mich an der Universitätsklinik ab, wo ich eine Stunde warten muss, bis das Ohr mit sechs Stichen genäht wird. Als der Assistenzarzt mir mit einem Handtuch das Blut aus dem Gesicht wischt, fragt er, ob die Polizei informiert worden ist. Ja, lüge ich, weil ich nicht will, dass Ruiz weiß, wo ich bin.
Hinterher laufe ich mit einer Dosis schmerzstillendem Paracetamol im Körper durch die Stadt bis zum Pier Head, wo gerade die letzte Fähre aus Birkenhead anlegt. Die Motoren lassen die Luft vibrieren. Ich starre aufs Wasser und bilde mir ein, dunkle Umrisse zu sehen. Leichen. Als ich erneut hinschaue, sind sie verschwunden. Warum suche ich immer nach Leichen?
Als Kind bin ich mit meinen Schwestern manchmal mit einem Boot auf der Themse gefahren. Eines Tages entdeckte ich einen Sack mit fünf toten Kätzchen. Patricia erklärte mir immer wieder, dass ich den Sack weglegen sollte. Sie schrie mich regelrecht an. Rebecca hingegen wollte hineinsehen. Sie hatte wie ich außer Insekten und Eidechsen noch nie ein totes Lebewesen gesehen.
Ich leerte den Sack und die Kätzchen fielen ins Gras. Ihr nasses Fell war gesträubt. Ich war zugleich fasziniert und abgestoßen. Sie hatten weiches Fell und noch warmes Blut. Sie waren nicht groß anders als ich.
Als Teenager stellte ich mir dann vor, dass ich bis dreißig tot sein würde. Das war mitten im Kalten Krieg, als die Welt am Rande des
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