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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon von Winterstein
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Kittel, zwei der obersten Knöpfe zu weit geöffnet, als Willkommensgruß für mich. Ich küsste ihre mit einem unglaublich zarten, blonden Flaum überzogenen Wangen, ein Schimmern nur, das noch mehr Weichheit versprach. Dann gab ich ihr einige Blätter bedruckten Papiers. Mein Eintritt, die Geschichte von Adriana, Nicole und mir, die ich Adriana nun vorlesen wollte. »Damit du heute nicht warten musst, bis etwas passiert, Simone!«
    Sie nahm das Papier und sagte: »Dann bin ich also wieder ausgeladen?«
    Ich streichelte ihre Wange, küsste sie noch einmal, sagte: »Viel Spaß!«, und ging zu Adrianas Zimmer.
    Es hatte sich nichts verändert im Aufbau der Apparatur. Wie Kafkas schreckliche Maschinen, so tat auch diese Maschine ihren Dienst am Menschen, mit dem Unterschied, dass diese Maschine nicht wie in der Strafkolonie den Körper zerlegte und schließlich nach dem unendlichen Leiden der Bestrafung tötete. Diese Maschine erhielt Leben, egal ob es wollte oder nicht. Die Maschine führte Adriana Nahrung zu, beatmete sie, kontrollierte sie, beherrschte sie. Von Adrianas Freiheitswillen, ihrer Lust, Dinge zu tun, die sie noch nie getan hatte oder vor denen sie sich womöglich fürchtete, von ihrem Mut, ihrer Abenteuerlust war nichts geblieben. Meine Geliebte starb nicht, und das war vielleicht die neue Einsicht dieses Besuchs. Sie wurde mehr und mehr Teil der Maschine. Sie wurde nicht grau, weil sie starb, sie wurde grau, weil die Maschine ihr ihre eigentliche Farbe, die unter der bunten Lackierung regierte, aufzwang, in sie blies mit dem Atem, in sie pumpte mit der Nährflüssigkeit. Ich musste die Geliebte nicht vor dem Tod bewahren. Meine Geliebte war dort am Unfallort gestorben. Ich musste Adriana helfen, sich gegen die Maschine zu wehren, damit sie, egal wie angegriffen ihr Gehirn war, für sich eine Entscheidung treffen konnte, ob sie bei uns bleiben oder gehen wollte.
    Wieder schlich ich vorsichtig zu ihrem Bett, auf leisen Sohlen, nahm den Stuhl und setzte mich zu ihr. Ich küsste sie auf die Stirn, nahm ihre Hand, betrachtete sie. Die Maschine tat ihre Arbeit. Was war nur aus meiner Adriana geworden, an die ich ja die wirklich bewegendsten Erinnerungen hatte, wo war sie? Gab es sie wirklich nicht mehr oder begann ich einfach schon einmal Platz zu machen in mir für Marie, und Adriana war die Erste, die auf den Speicher geräumt wurde? Meine Geliebte, die ich nicht wirklich liebte (oder es mir immer verboten hatte), aber begehrte, die eine so wundervolle Partnerin in einem der schönsten Spiele gewesen war, die man miteinander spielen kann. Ich verabschiedete mich von ihr, das spürte ich. Aber durfte ich das?
    Sie hatte sich mit mir getroffen in jener Nacht. Sie war dort, wo sie angefahren worden war, weil wir uns getroffen hatten. Sie war in dem Moment auf die Straße gelaufen, weil ich sie vorher festgehalten hatte, ein Spiel.
    Sie zog, rief: »Los, Leon, nur noch einen Drink«, (in der Bar gegenüber).
    Ich aber wollte los, hatte einen anstrengenden Tag hinter mir und wollte mit Adriana ins Hotel, um mit ihr zu schlafen. So zerrten wir aneinander, lachend wie Kinder beim Tauziehen. Ich ließ sie ein Stück weit gewinnen. Sie zog mich vom Bürgersteig zwischen die Autos, meines und einen Ford, und stand selbst schon fast auf der Straße. Da lösten sich unsere Hände voneinander. Es erschien mir in der Erinnerung dort an ihrem Bett wie ein Vexierbild all jener Szenen, in denen eine Figur aus einem Film jemanden gerade noch halten kann, der schon zuvor von irgendwo heruntergestürzt ist, einem Dach, einem Felsen. Close up, die Hand, die verzweifelten Gesichter, der Sturz. Adriana verlor den Halt, als meine Hand sie nicht mehr hielt. Die gesamte Kraft, mit der sie versucht hatte, mich abzuschleppen, richtete sich nun gegen sie. Sie verlor den Halt, stolperte rückwärts auf die Straße, warf die Arme hoch! Und wurde von dem nicht einmal schnell fahrenden Jeep erfasst. Sie prallte mit voller Kraft gegen die hohe Kühlerbox. Ich sah, wie ihr Kopf abknickte und auf die Motorhaube schlug. Ein unbeschreibliches, ein hässliches Geräusch knirschte mir entgegen. Adriana hing wie eine Puppe an dem Wagen, wurde noch einige Meter mitgeschleift, der Jeep kam ins Schleudern und rammte einen Wagen, der gerade seine Tür geöffnet hatte. Adriana wurde in den zweiten Wagen geschleudert, der Jeep quetschte hinter ihr her, als habe er noch nicht genug und wolle noch einmal ihren Körper fressen. Ich stand wie angewurzelt an

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