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Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
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der Adriennes im Rockbund steckende Uhr befestigt war. Sie legte ihre Hand leicht auf die Schulter des jungen Mädchens, ohne daß Adrienne diese Berührung wahrzunehmen schien. Da hob Madame Legras sehr schnell und mit beiden Händen zugleich die Kette über Adriennes Kopf und zog ihr die Uhr aus dem Rockbund. Das alles geschah so rasch und so geschickt, daß man es für einen jener Taschenspielertricks hätte halten können, bei denen der Zuschauer vor Staunen die Augen aufreißt. Eine Sekunde später lagen Uhr und Kette bei den Goldmünzenröllchen in der Handtasche.
    »Na ja«, murmelte Madame Legras, während sie sich wieder aufrichtete, »das warst du mir wohl schuldig!«
    Mit scharfen Äuglein blickte sie um sich, machte ein paar Schritte durch den Raum, ihr Mund war halb geöffnet, die Brust hob und senkte sich unter ihrem Atem, der schneller war als gewöhnlich. Dann ging sie zur Tür und verließ, ohne sich noch länger aufzuhalten, das Zimmer.

 
VIII
     
    »Mademoiselle Adrienne!«
    Es war die Köchin, die auf der Treppe nach ihr rief. Adrienne schreckte beim Klang der Stimme zusammen und antwortete erst, als sie Désirée die Treppe heraufkommen hörte.
    »Was gibt es?« fragte sie mit heiserer Stimme.
    »Mademoiselle ist da?« fragte Désirée beim Eintreten. Ihr lebhafter, forschender Blick gefiel dem jungen Mädchen nicht, dieser Blick, der am Tag nach Monsieur Mesurais Tod auf die leere Lampe gefallen war. Sie war eine Frau, die vom Feuer im Küchenherd ausgetrocknet schien wie eine Weinranke. Man konnte sich gar nicht vorstellen, daß unter dieser trockenen, verdorrten Haut, die an den Knochen klebte und auch deren Farbe angenommen hatte, Blut pulsierte. Sie hatte eine gerade und lange Nase mit ganz kleinen Löchern, braune, unverschämt blickende Augen und eine Art, beim Sprechen den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen, die ihren mißtrauischen Gesichtsausdruck noch verstärkte.
    »Ich habe geglaubt, Mademoiselle sei weggegangen«, fuhr sie fort. »Ich hörte keine Schritte aus dem Salon. Ich dachte, sie sei vielleicht bei Madame Legras, um sich von ihr zu verabschieden.«
    »Madame Legras?«
    »Aber natürlich, Mademoiselle weiß doch, daß sie abgereist ist.«
    Adrienne schüttelte den Kopf.
    »Nein, so was!« rief Désirée völlig überrascht. »Mademoiselle weiß nicht, daß Madame Legras den Eigentümer der Villa Louise geohrfeigt hat? Sie hat Mademoiselle also nichts davon erzählt? Es stimmt schon, daß sie keinen Grund hat, stolz darauf zu sein. Aber jetzt ist Schluß. Sie hat die Villa dichtgemacht. Hat Mademoiselle den Wagen vorhin nicht gehört?
    »Nein, Désirée«, sagte Adrienne und stand auf.
    Sie rang ein wenig nach Luft.
    »Mademoiselle sieht ja nie jemand«, fuhr Désirée fort, »darum weiß sie auch über nichts Bescheid. Also, Madame Legras ist vor die Tür gesetzt worden. Ja. Es wurde auch langsam ein Skandal, diese Frau, die sich überall zeigte, geschminkt, gepudert und frech obendrein. Wenn man gewußt hätte, was die für eine ist, bestimmt wäre ihr die Villa niemals vermietet worden. Der Eigentümer hat es schließlich mit der Angst zu tun bekommen, was die Leute sich wohl denken, und hat ihr einen Brief geschickt. Das hat mir die Witwe Got erzählt, die Tante der Kurzwarenhändlerin, aber alle wissen es. Da ist Madame Legras zu dem Hausbesitzer gelaufen und hat ihm Grobheiten an den Kopf geworfen. Der Mietvertrag war offenbar auf den Namen ihres Freundes ausgestellt, aber sie hat sich mit ihm verkracht, und er soll einverstanden gewesen sein, daß der Eigentümer sie auf die Straße setzt. Deshalb war sie auch in Paris, weil sie versuchen wollte, die Sache wieder einzurenken. Und außerdem brauchte sie Geld, viel Geld, und zwar sofort. Heute morgen ist sie deswegen sogar zu mir gekommen, aber Mademoiselle braucht nicht zu glauben, daß ich ihr welches gegeben habe! Fühlt Mademoiselle sich nicht wohl?« fragte Désirée plötzlich, als sie sah, daß Adrienne die Augen schloß und sich auf den Tisch stützte.
    »Ist nicht schlimm«, sagte Adrienne. »Wie spät ist es?«
    »Das Mittagessen ist fertig, Mademoiselle.«
    Adrienne griff sich an die Stirn, ging zu ihrem Lehnsessel und setzte sich hin. Désirées Blick war ihr furchtbar unangenehm; sie spürte, wie er sie verfolgte, ihre Bewegungen genau beobachtete.
    »Ich komme gleich hinunter«, sagte sie und wandte die Augen ab.
    »Aha!« meinte Désirée. »Verflixt, ich habe ganz vergessen, Mademoiselle zu sagen, daß

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