Advocatus Diaboli
schreiben?«
Wenzels Getreue versorgten Rainerio mit Tinte und Papier. Er setzte sich hinter ein Schreibpult.
»Alles ist in meinem Kopf niedergeschrieben«, behauptete er.
In einem tadellosen Latein schrieb er eine Stunde, dann zwei, dann drei … Die Nacht brach herein. Die Stunden gingen vorüber, und Rainerio hörte nicht auf, Papier zu schwärzen.
Die Zeugen der Szene beobachteten ihn halb ungläubig, halb bewundernd.
Als Jasomirgott ein beschriebenes Blatt ergreifen wollte, protestierte Rainerio energisch, die Verwicklungen des Konvents von Meggido könnten nur in ihrer Gesamtheit begriffen werden.
Als es hell zu werden begann, war er fertig.
Man räumte die Möbel aus dem königlichen Zelt, und Rainerio breitete seine Blätter auf dem Boden aus, indem er konzentrische Kreise und Striche wie die Zacken eines Sterns bildete.
»So«, sagte er erschöpft.
Er hatte die verschiedenen Zellen des Konvents abgebildet und sechsundsechzig Fälle von Verfälschungen nachgewiesen.
»In Rom herrscht der Teufel«, bemerkte Rainerio mit tonloser Stimme. »Jeder weiß es, aber niemand weiß wirklich, wo er zu finden ist …«
Er wies auf seine Arbeit.
»Hier seht Ihr ihn mit eigenen Augen.«
Jasomirgott brachte Stunden damit zu, das römische System in für den König und seine Getreuen verständliches Tschechisch zu übersetzen.
Die letzten Anordnungen des Konvents von Meggido erklärten die Gründe für Rainerios überstürzte Flucht aus Rom:
»Kardinal Rasmussen und ich sind den Vorbereitungen für nächste falsche Wunder auf die Spur gekommen. Wir wissen, dass im Laufe der vergangenen dreizehn Monate einhundertzwölf Kinder mit Wunderbegabungen entführt wurden und dass aus diesem Grund mehr als vierhundert Menschen ihr Leben verloren haben. Diese Operation hat eine solche Tragweite, dass ein außergewöhnliches Aufgebot an Menschen und Geld dafür erforderlich war.«
Vor den versteinerten Königsgetreuen fügte er hinzu: »Die Welt hat das Schlimmste von einem Täuschungsspektakel zu befürchten, an dem so viele Wunderkinder beteiligt sind. Unsere Nachforschungen blieben in Rom jedoch nicht unbemerkt. Kardinal Rasmussen wurde Opfer eines Mordversuchs. Ich meinerseits befolgte die Anweisungen meines früheren Meisters Otto Cosmas sowie des Kardinals, der mich lehrte, dass nur die Anhänger des Kaisers unser geheimes Wissen über Rom zu nutzen verstünden. Ich verließ die Stadt und suchte Jasomirgott auf, der mir zu diesem Treffen mit Euch verhalf, und nun stehe ich hier!«
Wenzel II. war mit der Tochter des Kaisers Rudolf verheiratet. Der junge Herrscher dachte, dass der schwelende Konflikt zwischen der Autorität des Papstes und der des Kaisers in den endgültigen Sieg des Letzteren münden würde, wenn er eine solche Waffe in Händen hätte.
»Aber was habt Ihr sonst noch vorzuweisen?«, fragte er, vorsichtiger, als sein Alter hätte vermuten lassen. »So glänzend Eure Vorführung sein mag, sie stützt sich nur auf das Wort eines jungen
Mannes ohne Rang. Genügt das, um Persönlichkeiten zu stürzen, die zu solcher Verstellungskunst fähig sind?«
Er zeigte mit dem Finger auf die krakenförmigen Verzweigungen des Konvents von Meggido.
Rainerio pflichtete dem Monarchen bei.
»Ihr habt recht. Ich empfehle Euch daher, im Augenblick nichts zu unternehmen. Gebt mir vier oder fünf Tage.«
Wenzel schüttelte den Kopf.
»Und was kann bis dahin geschehen?«
Am fünften Tag hörte man einen Tumult vor dem königlichen Zelt. Pferdegeräusche, lautes Rufen, dann eine weithin schallende Stimme.
Ein Wachposten stürzte ins Zelt und kündigte Wenzel II. die Ankunft eines Kirchenmannes an.
Der wackere Kardinal Rasmussen trat mit einem dicken Wälzer unter dem Arm vor den König.
»Ganz Rom glaubt, dass mein Herr tot ist«, erklärte Rainerio in seinem bruchstückhaften Tschechisch. »Er lebt jedoch und bringt unwiderlegbare Beweisstücke mit, die er aus Rom herausgeschmuggelt hat, indem er sie in seinem Sarg verbarg.«
Er wies auf den Kardinal und wandte sich noch einmal an den König.
»Euer Gnaden, Ihr habt nun das Wort eines der mächtigsten Kurienkardinäle, um die Anschuldigung, die ich vor Euch gegen den Konvent von Meggido erhoben habe, zu untermauern. Die Entscheidung liegt nun bei Euch.«
VII
P ater Aba, dem der Anblick der Leichen nicht aus dem Kopf gehen wollte, dachte, dass einzig seine Verkleidung als schwarzer Räuber ihm dabei helfen konnte, sich Zugang zum Kloster Albertus Magnus zu
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