Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
Spezies. »Mein Fett hat sich gar übel placiert, muss mir also wohl übel anstehen; ich habe einen abscheulichen met verlöff hintern, bauch und hüften und gar breite axlen, hals und brüste sehr platt, bin also, die wahrheit zu bekennen, gar einen wüste heßliche Figur.« Liselotte von der Pfalz schrieb das vor rund 300 Jahren, als sie ihren Alterungsprozess im Spiegel verfolgte.
»Mein Spiegel täuscht mich nicht, wenn er mir sagt, dass ich von Tag zu Tag hässlicher werde«, klagte auch Katharina Fabricius, die Freundin der Dichterschwester Cornelia Goethe, vor 250 Jahren ihrem Tagebuch. Sie war im Irrtum: Der Spiegel wirft immer nur unsere Bilder im Kopf zurück. Wir nehmen uns nur in Ausschnitten war. Je nachdem, auf welche Details das Fett- und Faltenmonster uns gerade hinweist.
Britt hat zu diesem Thema einen kleinen Kunstabend angekündigt, zur Feier ihres 57 .Geburtstages. Seit dem Tod von Wolf vor vier Jahren lebt Britt von Foto- und Malkursen und einer Witwenrente. Ihr Herz aber gehört ihren Fotoserien und Installationen. Britt hat den Abend unter das Motto »Körperphantasien« gestellt und eine Mischung aus Ausstellung und Performance angekündigt, die uns »befreien« soll vom »Körperstress« der über 50 -Jährigen. Ich bin gespannt.
Am Eingang hat Britt einen großen Garderobenspiegel aufgehängt, leicht nach vorne geneigt. Diese Art von Spiegel ist ein Schrecken für Menschen in mittleren Jahren, denn darin sieht man dicker aus. Einige Modehäuser machen es deshalb auch umgekehrt: Sie befestigen die Spiegel so, dass das Glas etwas nach hinten gekippt ist. Schon wirkt man ranker und schlanker.
Wer sich in Britts Spiegel betrachtet und über seine kurzen Beine erschreckt, wird dabei auch noch von unten beleuchtet, was einen zehn Jahre älter macht. Ich habe mal eine Reportage über eine Schönheitsklinik geschrieben, wo man im Fotostudio mit dieser Illumination die abscheulichen »Vorher«-Fotos der operationswilligen Klientinnen schoss. »Das ist schon gemein«, sagt Suse, als wir vor unseren dicklichen, monströsen Abbildern stehen. »Soll wohl abhärten.« Ich muss ein bisschen grinsen. Das ist typisch für Britt, die Flucht nach vorne anzutreten.
Von Suse weiß ich, dass sie manchmal Angst verspürt vor Spiegeln, denn sie sorgt sich wegen ihrer Backen und ihres Doppelkinns. Dabei hat sich ihr Gesicht nur ganz normal altersgemäß verändert, indem die Wangen absacken wie bei allen Menschen um die 50 und die Haut unter dem Kinn etwas hängt. Besonders wenn sie nach unten in einen Spiegel auf dem Nachttisch gucke, sei das fürchterlich, erzählte mir Suse. Irgendwer hat ihr mal gesagt, dass eine Unterkieferlinie, die nicht mehr straff sei, so richtig alt und fertig wirke. Stimmte das, müsste eigentlich die Hälfte unser Politiker sofort in den Ruhestand treten und von den Fernsehbildschirmen verschwinden.
Ich für meinen Teil habe eine gewisse Obsession mit dem Bauch. Wird er nicht beständig größer? Tja, alles ganz nett, wenn nur der Bauch nicht wäre! Von unserem alten Bekannten Frank, der auch zur Geburtstagsparty eingeladen ist, weiß ich, dass er sich wegen seines zurückgehenden Haaransatzes und seiner dünnen Lippen sorgt, die er schon an seinem Vater nicht mochte. Wenn er nicht gut drauf sei und in den Spiegel gucke, fielen ihm seine Stirnglatze und der schmale Mund immer besonders negativ auf.
Suses Ehemann Jürgen, von Beruf Architekt, sind seine Fettdepots und Tränensäcke hingegen wurscht, obwohl er einen beachtlichen Rettungsring durch die Gegend schiebt. Wenn wir nicht als tatsächliche Personen, sondern als unsere Selbstbilder durch die Welt laufen würden, dann würde Frank wahrscheinlich fast ganz ohne Haare und Lippen durch die Gegend spazieren, Suse mit riesigen Hängebacken auftreten und ich hätte einen Bauch wie Helmut Kohl. Nur Jürgen träte auf wie ein Adonis, dank seines gefälligen Selbstbildes. An Jürgen traut sich das Spiegelmonster nicht heran.
In jedem alten Mann steckt eine alte Frau
Auf Britts Party sind inzwischen ein Dutzend Gäste eingetroffen, einige sind schnell am Dickmacherspiegel vorbeigehuscht. Frank hat ein Tiramisu mitgebracht und zum Büfett gestellt. Unsere Jugendfreundin Gabriele ist auch da. Sie hat neuerdings einen sehr viel jüngeren Geliebten, der aber nicht mitgekommen ist. Mein Mann Christoph und Suses Mann Jürgen sind erschienen. Winfried, mein alter Sportkumpel aus Joggingzeiten, ist mit seiner jungen Freundin da.
Hinten an
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