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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Denkunvermögen haben auch andere Ursachen«, erwiderte Vielgorski.
    »Natürlich«, pflichtete Belozerski ihm bei.
    »Morgen, Genossen, ist auch noch ein Tag«, beharrte Mirski, der den Seitenhieb ignorierte. »Wir müssen frisch und ausgeruht sein, wenn wir Hoffman treffen und die Verhandlungen fortführen.«
    Sie marschierten nacheinander hinaus; nur Pritikin und Pletnew blieben bei Mirski. Der Chefingenieur und der ehemalige Staffelkommandeur setzten sich an den Tankplattentisch und warteten, während sich Mirski die Augen und den Nasenrücken rieb. »Ist Ihnen klar, was passiert, wenn Vielgorski und seine Marionetten an die Macht kommen?«
    »Ihnen ist mit Vernunft nicht beizukommen«, sagte Pritikin.
    »Trotzdem steht ungefähr ein Drittel der Truppen fest hinter ihnen, während ein zweites Drittel hinter keinem steht: allgemeine Unzufriedenheit«, führte Mirski aus. »Ich bin der Chef; also mögen mich die Unzufriedenen nicht. Wenn’s nur Belozerski wäre, hätte ich keine Sorge – die Unzufriedenen hassen politische Offiziere noch mehr als mich. Aber Vielgorski hat eine gewandte Zunge. Vielgorskis Worte sind wie Peitschenhiebe. Er kann eine gefährliche Mehrheit in seinen Bann schlagen.«
    »Und was sollen wir tun, Genosse General?« erkundigte sich Pletnew.
    »Ich möchte, daß ein jeder von euch von fünf Mann bewacht wird, die Garabedian oder ich persönlich ausgewählt haben. Und ich will, daß vier AKV-bewaffnete Gruppen dieses Gebäude umstellen. Pritikin, das wissenschaftliche Team soll ab übermorgen die vierte Kammer nicht mehr verlassen. Vielgorski wird den Intellektuellen nicht trauen, falls es hart auf hart zugeht, wird er sie nicht tolerieren.«
    Die beiden gingen, worauf Mirski allein war. Er seufzte und wünschte sich etwas, womit er sich für den Rest des Abends ablenken könnte – eine Flasche Wodka, eine Frau…
    Oder ein paar ungestörte Stunden in der Bibliothek.
    Noch nie in seinem Leben hatte er sich so bewußt, so hoffnungsvoll gefühlt wie jetzt, obgleich er von lauter Ignoranten umgeben war.

 
36. Kapitel
     
    Der Röhrengleiter war auf Automatik gestellt, und alle vier Passagiere schliefen in der Kabine.
    Heinemann hatte die Geschwindigkeit auf neun Kilometer pro Sekunde beschränkt. Höhere Geschwindigkeiten lösten irgendeine konstruktionsbedingte Vibration aus.
    Lanier, der nicht schlafen konnte, lag wach auf seinem zurückgeklappten, gurtgesicherten Sitz und starrte auf das orangefarbene Licht über sich. Heinemann auf der anderen Seite des Gangs atmete gleichmäßig; die Frauen schliefen hinter einem Vorhang, den Carrolson in der Kabinenmitte gehißt hatte. Carrolson schnarchte leicht, während von Farley kein Ton zu hören war.
    Sexuell war Lanier eher zurückhaltend; sein Trieb war durchaus normal, ließ sich aber vertrösten oder abstellen, wenn die Situation es erforderte. Somit war seine zweijährige Enthaltsamkeit auf dem Stein ein kleineres Problem wie für andere gewesen. Nichtsdestoweniger war er in seinem Leben noch nicht so geil gewesen wie in diesen friedlichen Augenblicken.
    Trotz der Vorteile hatte er sich stets seines weniger hartnäckigen männlichen Drangs geschämt, als würde er damit zu einem kalten Fisch werden. Jetzt rächte sich der Trieb. Um ein Haar hätte er sich durch den Vorhang nach hinten gestohlen und an Farley zu schaffen gemacht. Seine Erregung war zugleich komisch und bedrängend. Er fühlte sich wie ein Pubertierender, dem die Lust den Schweiß auf die Stirn treibt und der sich nicht zu helfen weiß.
    Die Psychiater in seinem Hirn machten Überstunden. Der Tod, sagte der Freudianer, stärkt nur unseren Fortpflanzungstrieb.
    Da lag er nun schlaflos, mit einer hartnäckigen Erektion, und konnte keinen klaren Gedanken fassen, hatte zum Masturbieren aber keine Lust. Allein schon der Gedanke war lächerlich. Er hatte seit einem Jahr nicht mehr masturbiert und tat es nur, wenn er absolut ungestört war.
    Ging es den anderen auch so? Heineman war über all das sicher erhaben. Nicht einmal hatte Lanier eine zweideutige Bemerkung von ihm gehört, es sei denn in Form eines harmlosen, trockenen Witzes.
    Und Farley?
    Versuchsweise hob er mit der Hand die dünne Thermodecke. Dann stoppte er die Hand. Wahnsinn.
    Nach einer Ewigkeit schlief er endlich doch ein.
     
    Bei 100.000 Kilometern meldete der vorausgerichtete Radar des V/STOL ein massives Hindernis im Korridor. Heineman suchte in den wissenschaftlichen Unterlagen nach einem Radarecho in dieser

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