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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vor den Spiegel und bemalte Gesicht und Unterarme mit roten und blauen Symbolen, wie sie auch in der Schriftrolle und auf dem Medaillon zu sehen waren. Er bedauerte, ihre Bedeutung in den meisten Fällen nicht zu kennen,
aber in einem alten Text hieß es, dass sie schützten. Er zog die Jacke an, die wie sein Hemd mit bunten Bändern geschmückt war, überprüfte sein Erscheinungsbild im Spiegel und setzte den Hut auf, der ihn vor vielen Jahren in Mittelamerika vor der Sonne geschützt hatte. Er passte nicht zum Rest der Kleidung, wohl aber zu seinen Gefühlen und Gedanken. Dann holte er die Steine, Knochen und anderen Dinge, ging nach draußen und begann mit seiner Runde über den alten Bauernhof.
    Der alte Kater Tolstoi begleitete ihn, vermutlich in der Hoffnung auf einen Leckerbissen. Oder vielleicht hatte er einfach Mitleid mit ihm. Immerhin hieß es, dass Katzen Menschen gut verstanden, und in Tolstois Augen blitzte genug Intelligenz.
    »Diese Steine stammen aus Copán«, sagte Anatoli und legte sie an der Zufahrt auf den Boden. »Die Hände von Maya haben sie berührt.« Er blickte nach Westen, in Richtung Riga. Dunkle Wolken kamen von dort, die Regen, vielleicht auch Schnee bringen würden. »Wusstest du, dass die Maya den Weltuntergang für das Jahr 2012 vorhergesagt haben, Tolstoi? Nein? In ihrem Kalender wird sogar der genaue Tag genannt: der einundzwanzigste Dezember. Vielleicht haben sie sich nur um einige Jahre verrechnet. Das kann passieren bei einem Kalender, der viele Jahrtausende umfasst.«
    Der grauweiße Tolstoi sah zu ihm auf und gab ein Geräusch von sich, das fast wie eine Frage klang. Anatoli blickte auf ihn hinab. »Es heißt auch, dass Katzen Geister sehen können. Möglicherweise bekommst du bald Gelegenheit dazu.«
    Er setzte seine Runde fort, legte aus Mittelamerika und Vorderasien stammende Steine, Knochenfragmente und kleine Amulette auf den Boden. In der Scheune und den anderen Nebengebäuden
hängte er sie an die Wände und formte an Türen und Fenstern Muster aus ihnen. Er sprach Gebete auf Latein und Russisch, obwohl er nicht mehr sicher war, ob es wirklich jemanden gab, der sie hörte. Als er schließlich zum Haus zurückkehrte, noch immer von Tolstoi begleitet, kam Wind auf und ließ die Fensterläden klappern.
    »Ein scheußlicher Tag, um zu sterben«, sagte er. »Ich hatte gehofft, auf der Veranda in der Sonne sitzen und eine letzte Pfeife rauchen zu können, während ich auf den Tod warte.«
    Ein leises Miau kam vom Kater, und er strich ihm um die Beine.
    »Ich hoffe, dass Béla ihm helfen kann«, fuhr Anatoli fort. »Dem Deutschen, meine ich. Vielleicht weiß er mehr als ich.« Er ging in die Hocke und streichelte den Kater. »Er hat alles für Unsinn gehalten, weißt du. Von › pseudowissenschaftlichem Unfug ‹ hat er gesprochen. Ich hätte ihm viel mehr erzählen können. Von Atlantis und Mu vielleicht. Von den Alten Großen, von denen auch die Literatur berichtet. Von Acat und Acna, vom Gott des Lebens und der Muttergöttin, Patronin der Geburt. Die Maya beteten zu ihnen und zu vielen anderen, die sie für Götter hielten. Nein, Tolstoi, Götter waren es nicht, aber mehr als Menschen, doch daran erinnerten sich nicht einmal die Maya, Nachfahren der Alten.«
    Tolstoi miaute erneut.
    »Ja, wir beide wissen Bescheid. Und Sebastian Vogler wird seine Ansicht bald ändern.« Anatoli erhob sich, öffnete die Tür und machte eine einladende Geste. »Hast du Lust, mir Gesellschaft zu leisten, bis es so weit ist?«
    Tolstoi lief über die Schwelle zum Kamin, und Anatoli schloss die Tür.

    Eine weitere Stunde verbrachte er damit, das Haus in Ordnung zu bringen. Als er glaubte, dass alle Dinge an ihrem Platz waren, legte er Holz ins Feuer, stopfte seine Pfeife und spürte, wie die Anspannung nachließ. Er war bereit und dachte: Ich darf nicht daran denken.
     
    Die Zeit verrann, Sekunden und Minuten, dann Stunden. Von Westen her kamen die dunklen Wolken, brachten eine Mischung aus Schnee und Regen, zogen dann nach Norden weiter, in Richtung Estland. Die Sonne zeigte sich, und der Alte nahm seine Pfeife, setzte sich auf die Veranda, paffte und dachte über die Welt und das Leben nach. Tolstoi saß neben ihm, nachdem er die letzten Leckereien aus der Vorratskammer gefressen hatte. Als der Nachmittag kam und ging, regte sich Hoffnung in Anatoli. Vielleicht, so flüsterte ein Gedanke in ihm, hatte er sich geirrt. Vielleicht war keiner der sechs Nephilim zu ihm unterwegs.
    Der grauweiße

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