Affaere in Washington
Schritt näher, bot dem alten Herrn aber nicht die Hand. »Ich«, sagte sie statt einer Begrüßung, »bin eine Campbell.«
Daniel zog die Mundwinkel herab und runzelte die Stirn. Shelby zuckte nicht mit der Wimper. »Meine Vorfahren hätten eher einen räudigen Hund in ihr Haus gelassen als eine Campbell«, grollte der alte Mann.
Als Alan bemerkte, dass seine Mutter sich einmischen wollte, schüttelte er den Kopf. Sie begriff sein Zeichen und schwieg. Shelby verstand sich ihrer Haut zu wehren, das wusste Alan. Und er mochte kein Wort der Auseinandersetzung zwischen den beiden Starrköpfen missen.
»Die meisten MacGregors lebten mit räudigen Hunden im Zimmer, und es störte sie nicht die Spur.«
»Barbaren!« Daniel atmete schwer. »Die Campbells sind immer Barbaren gewesen, alle, wie sie da waren!«
Shelby legte nachdenklich den Kopf zur Seite und sah ihr Gegenüber prüfend an. »Man hat den MacGregors von jeher nachgesagt, dass sie schlechte Verlierer sind.«
Das Gesicht des Seniors wurde fast so rot wie sein Haar. »Verlierer? Ha! Noch ist kein Campbell geboren worden, der einem MacGregor im offenen Kampf gegenübergetreten wäre. Diese Meuchelmörder!«
»Gleich werden wir die ganze Familiengeschichte in ungekürzter Fassung hören«, flüsterte Caine. »Du hast nichts mehr im Glas, Dad«, sagte er laut, in der Hoffnung, ihn abzulenken. »Shelby, wie wäre es mit einem Drink?«
»Ja, gern.« Sie schaute zu Caine auf und zwinkerte ihm zu. »Scotch pur – ohne Wasser und Eis.« Dann wandte sie sich wieder dem alten Herrn zu. »Wären die MacGregors klüger gewesen, hätten sie nicht ihr Land, ihre Kilts und ihren Namen verloren. Könige«, fuhr sie ungerührt fort, als der Senior wie ein Walross schnaufte, »pflegen empfindlich zu reagieren, wenn jemand versucht, sie vom Thron zu stürzen.«
»Könige!«, stieß der alte MacGregor verächtlich hervor. »Was ist schon ein englischer König! Kein treuer Schotte braucht einen englischen König, der ihm Vorschriften macht, wie er auf seinem eigenen Grund und Boden leben soll.«
Shelbys Lippen umspielte ein Lächeln, als Caine ihr das Glas mit dem Scotch reichte. »Ein wahres Wort. Darauf kann auch ich trinken.«
»Ha!« Daniel MacGregor hob sein Glas und leerte es in einem Zug. Dann setzte er es krachend auf den Tisch neben seinem Sessel.
Mit leicht hochgezogener Braue musterte Shelby den Inhalt ihres Glases. Dann tat sie es dem Herrn des Hauses gleich.
Dieser stutze einen Moment lang, blickte auf Shelbys leeres Glas, dann auf sie. Es war totenstill im Raum. Seine Augen sprühten Feuer, ihre jedoch blieben kühl und herausfordernd. Er erhob sich aus seinem Sessel, überragte Shelby um Haupteslänge – ein Bär von einem Mann mit feuerrotem Haar. Shelby legte in einer herausfordernden Geste die Hände auf die Hüften. Biegsam wie eine Weidenrute stand sie vor ihm mit ihren Locken, die genauso leuchtend rot waren wie seine. Alan wünschte sich, diese Szene im Bild festzuhalten.
Plötzlich warf sein Vater den Kopf in den Nacken und lachte schallend, lange und aus tiefstem Herzen. »Beim gütigen Himmel«, rief er, »ist das ein Mädchen!«
Im nächsten Augenblick zog er Shelby an seine Brust, und alle wussten, dass sie ihm willkommen war.
Sich mit den anderen MacGregors anzufreunden war für Shelby nicht weiter schwierig. So aufbrausend, dramatisch und ungeduldig das Oberhaupt der Familie war, so ruhig und diplomatisch wirkte Alans Mutter. In ihrer stillen Art beherrschte sie unmerklich jedermann. Weisheit und Geduld waren ihre Waffen. Jedes einzelne Mitglied der Familie unterschied sich von den übrigen. Als Gruppe gesehen bildeten sie ein harmonisches Ganzes.
Von dem Haus war Shelby bezaubert. Lange Gänge führten zu unzähligen Räumen, gewölbte Decken und geschwungene Säulen erinnerten an ein echtes Schloss. Das Esszimmer hatte die Größe eines normalen Hauses, über dem Kamin hingen gekreuzte Speere, Wappen und alte Gemälde an den Wänden. Hohe Fenster ließen Licht ein, und am Abend strahlte ein riesiger Kronleuchter mit unzähligen Kerzen.
Es gefiel Daniel MacGregor, seinen Reichtum nicht nur zu zeigen, sondern sich auch täglich daran zu freuen.
Beim Abendessen saß Shelby zu seiner Linken. Bewundernd strich sie mit den Fingerspitzen über den Rand ihres Tellers. »Das ist ja Wedgewoods Aspis-Kollektion aus dem späten achtzehnten Jahrhundert«, staunte sie. »Ein wunderschönes Gedeck, vor allem der Gelbton ist einzigartig und sehr,
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