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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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während Raif hinzufügte: „Ich hoffe, es werden dann ein paar unserer Leute dort sein können. Wenn ja, werden sie aussehen wie andere Einwohner auch. Falls nicht, ruhen alle unsere Hoffnungen auf dir.“
    „Ich denke, ich werde bald nach Srebrenica fahren“, sagte sie. „Ein Publik-Relation-Officer hat mir den Weg geebnet. Er rechnet jeden Tag damit, dass es losgehen kann.“
    „Gib mir vorher Bescheid. Die Straßen dorthin sind höchst unsicher. Der Scheitan ist los auf allen Strecken, auch in und um Srebrenica.“
    „Wir werden uns zuvor sehen“, versprach Anica. „Doch jetzt muss ich erst mal noch zu einer Verabredung.“
    „Zdravo“, sagten sie und tauschten mit freundschaftlichem Blick einen herzlichen Händedruck, ehe Raif die Treppe hinabstieg. Sie folgte dem Ladeninhaber, der sich unten galant verbeugte und ihr die Tür aufhielt. Übergangslos fiel er in das anfängliche konspirative Verhalten zurück. „Sollten Sie wieder einmal einen Schaden haben, Gospodjice, würden wir uns stets über Ihren Besuch freuen. Do videnja. Und empfehlen Sie uns weiter.“ Der Ladenfernseher hoch oben in einer Ecke meldete, dass 10.000 Reisepassformulare aus einem Safe der Stadtverwaltung gestohlen worden seien. „Die vielleicht angenehmere Art, zu Reisefreiheit und bosnischer Staatsangehörigkeit zu gelangen“, kommentierte ein graubärtiger Käufer, „als ein hiesiges Weib zu ehelichen.“ Unter den Blicken einiger Kunden blieb Raif an der offenen Ladentür stehen und schaute der Deutschen nach. Couragierte Frau, dachte er, obwohl man die Taten eines einzelnen Menschen nicht überschätzen sollte. Doch sie stand mit dem, was sie machte, für unzählige andere. Unsere Großväter sind nach Spanien gegangen, unsere Eltern nach Nicaragua, und die Enkelin sah den Tatsachen hier in Bosnien-Herzegowina ins Auge oder in Kurdistan; wie hieß doch gleich ihre Kollegin: Richtig, Lizzy Schmidt.
    Wie unterschiedlich doch Journalisten sind, überlegte Raif. Verglich er das, was er sah und erlebte, mit dem, was berichtet wurde, war er oftmals erbost, wenn er auf Lügen oder auch nur Flunkereien stieß. Berichterstatter meldeten verschieden, im Krieg wie freilich auch davor: Einige hatten ihr Gewissen nicht verloren, andere wohl nie eines besessen.
    Und ich habe mit keinem Wort diese gräulichen Lynchmorde erwähnt, fiel Anica bei ihrem Roller siedendheiß ein, habe überhaupt nicht mehr daran gedacht. So was kann man doch nicht so einfach von einer auf die andere Minute vergessen. Aber verdrängen? Ich werde Raif eine Kopie meiner Notizen zukommen lassen, nahm sie sich fest vor. Sie sah auf die Uhr, es war an der Zeit, sich aufzumachen zu der angekündigten Bootsfahrt auf der Drina. Sie ließ den Motor an, ordnete sich ein in den zäh fließenden Verkehr. Eine dunkle, dickbauchige Transallmaschine überflog brummend die Straße in Anicas Fahrtrichtung, verschwand hinter dem nächsten Hochhäuserblock. Auf dem Bürgersteig vor ihr bemerkte die Journalistin einen Mann, der ihr bekannt vorkam. Sie gab freudig erregt Gas, stoppte neben ihm ab, schaute und fuhr enttäuscht weiter. Der Mann hatte von hinten ausgesehen wie ihr Freund, der Frachtflieger.

20 Der Flughund
     
    Der Frachtclipper war vor einer Stunde in Zagreb gestartet. Eine schwere, ziemlich langsame, dabei äußerst zuverlässige Tupolew aus Beständen der NVA. Durch ihre polychrome Lackierung, die das Logo der privaten Transportgesellschaft mit beschränkter Haftung `TRAPOFLY´ aufwies, war die Maschine bekannt wie ein bunter Hund am Balkanhimmel und wurde auch nur wohlwollend „Flughund“ genannt, denn in jeder Institution, die sich in den Lufträumen Ex-Jugoslawiens wichtigmachte, von AWACS über die Flugsicherungen in Beograd und Zagreb bis zu den Adleraugen Kiseljaks und Pales, wusste man genau, dass der Frachtclipper von Dragan Miculic niemals Kriegsgerät transportierte, höchstens so kriegswichtige Waren wie Slivovitz oder Thermounterhosen und was sich sonst noch alle Beteiligten so kommen ließen. Die zweimotorige Propellermaschine zog wenige hundert Meter über einer dünnen, zerflatternden Wolkenschicht südostwärts.
    Ab und zu konnte der Pilot Land sehen. Die abenteuerliche Topografie der Gebirgslandschaft wurde bestimmt durch Felsmassive, aber nur kleine Waldflecken, sich sehr winzig ausnehmende Felder sowie einem dünnen Adernetz schmaler Wasserrinnsale und grauer, gewundener Straßenbänder. Der Flieger war guter Dinge, denn mit jeder Flugminute

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