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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Maschinen im Sinkflug eine neuerliche Schleife zog. Gleich darauf entdeckte sie auf der anderen Seite der Schlucht eine Bewegung, gab den Pilotenkollegen sogleich die Anflugrichtung. Seitlich versetzt und dicht hintereinander jagten die Libellen auf die Talsohle zu. 70-mm-Geschosse lösten sich en masse aus den seitlichen Raketenwerfern, zischten in das spärliche Unterholz am Geröllrand des Flusses und schleuderten Steinfontänen, durchmischt mit Astwerk und den blutspritzenden Körperteilen der Getroffenen, hoch empor.
    „Noch mal mit Bordkanonen“, kommandierte Mary-Jo ehrgeizig und spürte fast gleichzeitig, wie ein schmetternder Schlag den Falken sich aufbäumen ließ. Unwillkürlich zog sie den Steuerknüppel auf Höhe. Die Maschine hob die Nase steil aufwärts, stellte sich hoch wie ein Lipizzaner auf die Hinterbeine, sackte dabei jedoch gleichzeitig allmählich ab, eine dicke, flatternd aufsteigende Rauchfahne über sich zurücklassend. Dann merkte Mary-Jo, dass sich der Schub der Turbine abschwächte. Fieberhaft betätigte sie ein paar Knöpfe und Hebel, ohne dass sich an ihrer desolaten Lage etwas änderte, wobei die Libelle langsam taumelnd in die Tiefe trudelte. Die Drehgeschwindigkeit der Rotoren nahm rapide ab, die Kampfpilotin schrie ihr „May-day!“ ins Mikrophon, schätzte – sich aus dem Gurt lösend – die Höhe ab, grabschte nach dem Cheat-Heed und ließ sich aus der Plexiglastür fallen. Sie zog die Reißleine, und noch während sich der Fallschirm entfaltete, wurde sich die Fliegerin bewusst, dass dies das Ende bedeutete. Dort unten, wo sich unter den öden Steilhängen Maiskulturen und Obsthaine duckten, standen die feindlichen Verbände, deren Stellungen sie beschossen hatte. Sie erblickte die kleinen, dunkelgrünen Gestalten, die wieselflink über die Felsstiege huschten. Der Feind auf der Bergkuppe über den Pflaumenbäumen, der Mary-Jos Maschine mit einer Bodenluftrakete amerikanischer Bauart abgeschossen hatte, zielte auf die beiden anderen Libellen, die der abgesprungenen Fliegerin zu Hilfe kommen wollten. Er schoss äußerst präzise, aber die Helikopter waren mit röhrenden Turbinen hinter einer Bergkette abgetaucht.
    Da kommen sie heran, schoss es Mary-Jo durch den Kopf in Verkennung der Situation, weil sie es doch war, die sich annäherte. Jetzt sitze ich in der Patsche. Was bleibt mir zu tun? Schießen? Sie betastete die Kombitasche mit der Pistole. Die Hände heben? Sie klammerte sich mit beiden Händen an die Leinen, riss verzweifelt an ihnen, um von den herbeieilenden Uniformen wegzusteuern. Doch zu nahe schon war der harte Erdboden. Sie bekam unsanft Berührung mit den Füßen, fand keinen Halt, auch weil sie zu schnell war, schlug der Länge nach hin, ihr Gesicht prallte schürfend über körnig-scharfen Schotter, der ihr Rutschen derb stoppte. Über ihr sackte – einmal aufwedelnd – der Matratzenschirm zusammen. Burkhart, dachte sie beklommen, und vermochte nicht mehr von diesem Gedanken loszukommen. Er war so schwer, und sie wünschte so sehr, ihn durch den leichteren Gedanken zu ersetzen, dass für sie der Krieg erst einmal zu Ende war, doch sie wusste, dieser schwere Gedanke würde in ihr weiterleben und wachsen. Ihr graute davor, ihn zu Ende zu denken, erfuhr freilich für diesen Moment Erlösung, weil ihr schwarz vor Augen wurde. So merkte die Pilotin nicht, dass sich eine junge Kämpferin sogleich um sie bemühte, ihr Erste Hilfe leistete und das Papier aus dem Mund nahm, ehe sie die Bewusstlose den Kameraden überantwortete.
    Eine schaurige Stille breitete sich über dem Dorf aus, eine wie ein bleiernes Schweißtuch lastende Reglosigkeit. Aus den Ruinen der Höfe und Hühnerställe erscholl nicht ein einziges verzweifeltes Kikeriki, und auf den leeren Straßen, in den verlassenen Gassen war nicht ein Spätzchen zu sehen auf der Suche nach Futter. Sogar die Hähne, die zu jeder nur denkbaren Zeit ihren Wahnsinn herauskrähten, waren verstummt, und auch die Blindmäuse, die sonst immer in Abfallgruben und Misthaufen schlemmten, hatten sich davongemacht, und mit den Mäusen die Ziegen, die das Unkraut auf dem Massengrab der Hunderte von Toten fraßen. Und mit den Ziegen die menschlichen Bewohner.
    Lepa Brena kehrte zu den Journalisten zurück, in der Haustür blickte sie den in der Ferne entschwindenden Maschinen nach.
„Was ist geschehen, Brena?“ wurde sie von Zudeck-Perron gefragt. Sie fühlte, wie er hinter sie getreten war und seine Lederjacke sie leicht

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