African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
hätte. Wie alle Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, hatte ich viel von meinem Stolz und Selbstwertgefühl eingebüßt. Permanent befand ich mich in einer Art Schockzustand, hin und her geworfen zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Depression und dem Glauben, dass sich alles wieder zum Guten wenden würde, wenn nur, ja wenn irgendetwas geschehen würde, von dem ich selbst nicht wusste, was das sein könnte.
Ich kannte Anthony schon so lange. Immer hatte er mich zuvorkommend und mit großer Achtung behandelt, mit Liebesbeweisen überschüttet und verwöhnt. Der Anthony, mit dem ich hier in Deutschland in dieser winzigen Wohnung eingesperrt war, der mich misshandelte und ausspionierte, der verschwand und mich allein ließ, dann auf einmal wiederkam und Rechtfertigungen von mir wollte, die ich nicht geben konnte, dieser Anthony schien mir ein völlig anderer zu sein als der Mann, den ich in Ghana geheiratet hatte. Immer noch hoffte ich, dass unsere Ehe irgendwie zu retten war. Aber in jener Winternacht, in die Decke dieser freundlichen Nachbarin gewickelt, da erkannte ich, dass sich nichts ändern würde, wenn ich jetzt wieder zu Anthony zurückging. Der Kreislauf aus Eifersucht, Misstrauen, Kontrolle und Schlägen, Argwohn und Aggressivität war nicht zu durchbrechen.
»Ja«, sagte ich, »ich möchte in so ein Frauenhaus gehen.«
Marlies brachte mir eine weitere Decke und wir legten uns schlafen, sie in ihrem Schlafzimmer und ich auf der Couch im Wohnzimmer. Erst jetzt merkte ich, dass ich etwas krampfhaft in der Hand hielt, einen kleinen metallenen Gegenstand. Es war der Schlüssel zur Hintertür unserer Wohnung. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, bei meinen Fluchten blitzschnell den Schlüssel aus dem Schloss zu ziehen, ehe ich in die Nacht hinausrannte. Es war wie ein Instinkt, der mir sagte, dass ich mir den Rückweg sichern müsste, falls mir draußen noch größere Gefahren drohten. Bewusst war mir das nicht gewesen, noch nie hatte ich den Schlüssel gebraucht, immer hatte mich bislang die Polizei zurückgebracht. Wer weiß, wozu der Schlüssel gut ist, dachte ich.
Ich glaube, wir taten beide in dieser Nacht kein Auge zu. Als es endlich Morgen wurde, kochte Marlies für uns Tee. Dann griff sie zum Telefon.
Es stellte sich heraus, dass Gott mir tatsächlich einen Engel geschickt hatte. Einen Engel, der nicht nur freundlich und hilfsbereit war, sondern darüber hinaus auch über die nötigen Informationen verfügte. Doch offenbar war es nicht ganz so einfach, wie sie gedacht hatte.
Marlies telefonierte mit allen Frauenhäusern der Umgebung, in Mülheim und in Essen, aber dort waren die Frauenhäuser belegt. Schließlich rief sie in Düsseldorf-Benrath an und dort sagte man ihr, ich dürfe kommen.
Es war schon verrückt. Da stammte ich aus dem fernen Accra in Ghana und hatte nie zuvor von einer Stadt namens Düsseldorf gehört, die schließlich meine Schicksalsstadt wurde. Anthony hatte mir damals von allen Städten dieser Welt ausgerechnet eine Visitenkarte aus Düsseldorf gezeigt. Und die hat mich zur Abreise aus Ghana bewegt. Von allen Frauenhäusern der Umgebung war ausgerechnet in Düsseldorf-Benrath ein Platz für mich frei gewesen. Es kann kein Zufall sein, dass der Verein African Angel in Düsseldorf gegründet und eingetragen worden ist. Accra und Düsseldorf scheinen meine Ankerpunkte zu sein.
Marlies gab mir Kleider und Schuhe von ihr. Ihre Sachen waren mir ein bisschen zu groß und ich musste aufpassen, die Schuhe nicht zu verlieren, aber ich war ihr unendlich dankbar. Schließlich hätte ich mich nicht barfuß und im Nachthemd auf den Weg von Oberhausen nach Benrath machen können. Auch Geld für die Zugfahrt bekam ich von meiner Retterin. Dann erklärte sie mir, was ich zu tun hätte:
»Du nimmst den Zug von Oberhausen nach Düsseldorf und dann die S-Bahn nach Benrath. Ein paar hundert Meter vom Bahnhof entfernt findest du eine gelbe Telefonzelle. Von dort aus rufst du diese Nummer hier an. Das ist das Frauenhaus. Dann kommt dich jemand abholen.«
Wie üblich hatte ich nicht die Anschrift des Frauenhauses erhalten. So wird vermieden, dass die Adressen bekannt werden und womöglich in die Hände der Ehemänner fallen. Die Sicherheit aller Frauen, die in diesen Einrichtungen Zuflucht suchen, hängt von der Anonymität der Häuser ab.
Alles geschah genau so, wie Marlies es mir erklärt hatte. Mit klopfendem Herzen schlich ich mich zum Bahnhof. In Düsseldorf
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