African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
den Schlüssel zur Hintertür mitgenommen. Dieser und das Nachthemd waren sozusagen das Einzige, was ich aus meinem früheren Leben herübergerettet hatte. Aber konnte ich einfach so in unsere gemeinsame Wohnung spazieren und mir meinen Pass und alles Weitere holen? Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, stünde ich Anthony auf einmal gegenüber, und ich wollte es mir auch lieber nicht ausmalen.
Es dauerte ein paar Tage, bis ich genügend Mut beisammen hatte. Eine der Sozialarbeiterinnen des Frauenhauses bot an, mich zu begleiten. Ich wusste, wann Anthony bei der Arbeit war, jedenfalls normalerweise. Er konnte aber auch zuhause sitzen und auf mich warten. Vielleicht war ihm der fehlende Schlüssel aufgefallen. Oder er konnte unvermittelt zurückkommen und uns überraschen. Überhaupt rechnete ich damit, dass er die kostbaren Papiere, ohne die ich in Deutschland gefangen und auf ihn angewiesen war, längst an sich genommen hatte.
Ich weiß nicht, wie oft ich in meiner Vorstellung zurück in die Wohnung kehrte. Die Papiere befanden sich in meiner Handtasche, die neben der Haustür auf einem Schränkchen lag. Erst vor Kurzem hatte ich in einem Schreibwarengeschäft zwei passende Klarsichthüllen für die Aufenthaltsgenehmigung, die Arbeitserlaubnis und den Pass gekauft. Ich habe es gerne ordentlich und hatte darum meine Unterlagen fein säuberlich darin verstaut. Auch für meinen Mann hatte ich das so vorgesehen, aber dann hatte ich doch nicht den Mut, es ihm zu zeigen. Wer weiß, dachte ich, ob er nicht wieder Anstoß nehmen würde andieser Geldverschwendung. Oder daran, dass ich ohne ihn in einem Schreibwarengeschäft gewesen war und derart eigenmächtig gehandelt hatte. Also befand sich die Klarsichthülle, die für ihn bestimmt war, unbenutzt in meiner Tasche.
Eines Morgens wagten wir es. Mit rasendem Herzen betrat ich die Wohnung durch die Hoftür. Nichts. Alles war still. Dort lag meine Handtasche. Ich öffnete sie und suchte. Und tatsächlich! Wie durch ein Wunder fand ich ganz unten in einer Seitentasche, genau dort, wo ich es eingeräumt hatte, das Gesuchte: meinen Pass und alle weiteren Dokumente.
Rasch packte ich noch zwei Koffer mit Kleidern voll und vergaß auch das Tuch nicht, das mir meine Mutter geschenkt hatte. Dann verschwanden wir wieder. Anthony muss vor Zorn getobt haben, als er merkte, dass ich in der Wohnung gewesen war. Zu spät. Ich hatte mir geholt, was ich brauchte.
Erst viel später erfuhr ich, warum meine Papiere seiner Suche entgangen waren. Natürlich hatte er die ganze Wohnung nach ihnen durchkämmt. Klar, dass er auch in der Handtasche nachgesehen hatte. Aber Männer sind nun einmal nicht geübt in den Geheimnissen einer Frauentasche. Er hatte die leere Klarsichthülle gefunden und gedacht, ich hätte vor meiner Flucht doch noch irgendwie die Zeit gehabt, um die Unterlagen aus der Hülle zu nehmen. Davon war er so überzeugt gewesen, dass er nicht weitergesucht hatte – in dem Seitenfach schon gar nicht.
So sind es manchmal Kleinigkeiten, die einen retten können.
Ich bin insgesamt sieben Monate im Frauenhaus geblieben. Wenn die anderen mal rausgehen wollten, einkaufen, jemanden besuchen oder einfach mal etwas unternehmen, dann hütete ich die Kinder. Bald war es klar: Die Harriet, die bleibt ohnehin zuhause und auf die Kinder passt sie gerne auf. Und so war es auch.
Ich saß im Frauenhaus und betrachtete die Scherben meines Lebens. Ich brauchte Zeit, um das Geschehene zu verdauen. Immer wieder wachte ich nachts auf und glaubte, Anthony traktiere mich mit seinen Fäusten. Mein Gesicht konnte endlich in Ruhe abschwellen, ohne dass es gleich wieder übel zugerichtet wurde. Doch meine inneren Wunden heilten nur langsam.
Dennoch habe ich die Zeit auch sehr genossen. Diese Gemeinschaft von so unterschiedlichen Frauen, die oft nur eine einzige Sache verband – die Gewalt ihrer Männer. Stundenlang erzählten wir uns davon. Und lachten über sie. Ja, oft war es das gemeinsame Lachen, das die Wunden zwar nicht schloss, aber erträglich machte. Und die Erfahrung: Du bist nicht die Einzige, der das passiert ist. Denn tief im Innern sitzt immer auch der Gedanke, irgendetwas falsch gemacht zu haben – sonst hättest du die Prügel nicht bekommen. Wie misshandelte Kinder glauben auch wir Frauen, »es irgendwie doch verdient zu haben«. Natürlich ist das Unsinn und in den gemeinsamen Gesprächen begriffen wir das nach und nach.
Ich wollte wieder arbeiten. Am liebsten wäre mir
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