African Boogie
es wäre doch gerecht, wenn er wenigstens wüsste, was ihn umbringt. Meinen Sie nicht?«
Stefan Döring hatte alle Gäste zusammenholen lassen. Einige saßen, andere standen, während er selbstsicher auf die Empore im Restaurantpavillon trat: Ein General vor der entscheidenden Schlacht – und mit einem unschlagbaren Plan.
»Meine Damen und Herren, liebe Gäste«, fing er an zu sprechen. »Leider hat sich gestern ein nicht voraussehbares Unglück ereignet. Die Brücke ist eingestürzt.«
Die Anwesenden atmeten alle gleichzeitig hörbar ein. Doch noch bevor der Beschwerdesturm losbrechen konnte, fuhr Döring mit kraftvoller Stimme fort: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wir haben genügend Lebensmittel. Außerdem ist unsere Insel in der Wasser- und Stromversorgung absolut autark. Und Sie werden sehen: Bevor Ihr Urlaub zu Ende ist, steht die Brücke wieder.«
Was hatte der Freiherr gestern Abend gesagt? Der Bau der ersten Brücke hatte ein Jahr gedauert? Wenn Döring da mal nicht zu optimistisch war, dachte Katharina.
»Bis dahin lade ich Sie ein, Golden Rock weiterhin zu genießen. Sie werden sehen, die Zeit vergeht wie im Fluge.«
»Ich wusste ja, es gibt einen Haken. Darauf brauche ich was zu essen.« Claudia, die Frau, deren Mann schon am Vorabend erklärt hatte, sie müsse essen, wenn sie gestresst sei, angelte sich einen Muffin.
»Wir haben keinen Empfang«, erklang eine Männerstimme. Katharina sah auf. Einige der Anwesenden hatten ihre Handys gezückt und tippten wild darauf herum.
Stefan Döring winkte besänftigend ab. »Ja, leider sind Telefon und Handyempfang gestört, ebenso wie das Fernsehprogramm. Aber wir arbeiten bereits an einer Lösung.« Katharina wusste nicht, ob sie ihn bewundern oder gleich festnehmen sollte. Er hatte wirklich die Ruhe weg und genoss die Rolle des »Helden von Golden Rock«. »Aber zur Unterhaltung habe ich ein exklusives Programm zusammengestellt«, fuhr er fort. »Auf Sie warten abenteuerliche Stunden in den Schmugglerhöhlen oder beim Inselrundgang, auf dem Sie ein echtes Piratenschiff besichtigen können. Wir veranstalten Wettbewerbe im Bogenschießen und Turmspringen. Und selbstverständlich findet heute unser JeKaMi-Abend statt. Ich hoffe, Sie haben darüber nachgedacht, was Sie Ihren Mitreisenden vorführen können.«
Dicht neben Katharina erklang ein bellendes Husten. Gut, auch ein Kommentar zur Idee des JeKaMi. Noch ein Huster. Und noch einer und noch einer. Das war jetzt wirklich übertrieben. Katharina drehte sich um: Die Stress-Esserin musste von dem Muffin, den sie immer noch krampfhaft umklammert hielt, ein zu großes Stück abgebissen haben. Ihr Lebensgefährte klopfte ihr auf den Rücken, doch es wurde nicht besser. Im Gegenteil, das Husten wurde immer heftiger und die Frau lief rot an.
»Platz! Platz!« Jemand drängte sich durch die Menge: Andreas Amendt. Er stieß den Freund davon und legte der Frau seine Arme um den Leib. Dann presste er ruckartig die verschränkten Hände knapp unterhalb des Brustkorbs in den Bauch der Frau. Immer wieder probierte er es, doch ohne Erfolg. Die Frau hustete und würgte. Amendt wischte Geschirr und Besteck beiseite und wuchtete die Frau auf einen Tisch. Mit einer Hand fixierte er den Oberkörper der Frau, mit der anderen zwang er ihre Zähne auseinander und griff in ihren Hals. Doch es gelang ihm nicht, den Fremdkörper zu packen. Die Frau hustete nur noch stärker. Amendt sah sich Hilfe suchend um: »Ich brauche ein ganz scharfes Messer und ein Röhrchen. Und was zum Desinfizieren.«
Katharina ahnte, was er vorhatte, und wühlte in ihrer Handtasche, bis sie einen Einweg-Kugelschreiber fand. Sie zog die Mine heraus und biss in den kleinen Stöpsel am oberen Ende, bis er sich löste. Dann gab sie Amendt das Röhrchen und suchte in ihrer Handtasche ihr Taschenmesser. Verdammt, das lag noch in ihrem Kosmetikkoffer! Doch Andreas Amendt war schon losgestürmt und über die Bar gesprungen. Dort wühlte er in den Schubladen; schließlich nahm er eine Flasche Wodka und sprang wieder zurück. Mit den Zähnen schraubte er die Flasche auf und kippte sie über den Hals der Frau.
»Festhalten«, bellte er. Katharina drückte die Schultern der Frau mit aller Kraft auf den Tisch. »Messer!« Doch niemand gab ihm ein Messer. Zwar sah Katharina aus den Augenwinkeln, wie Sandra Herbst über die Wiese lief, vermutlich um ihre Arzttasche zu holen. Aber bis sie zurückkam, würde es zu spät sein.
Das hatte auch Andreas Amendt
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